Das Strafverfahren um die Betrugsfirma EN Storage beginnt. Das Unternehmen hat rund 2000 Kleinanleger um 90 Millionen Euro gebracht.Das Geld bleibt verschwunden.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Das Strafverfahren gegen einen ersten Verantwortlichen der Betrugsfirma EN Storage beginnt. Gemäß Mitteilung der Staatsanwaltschaft wird zunächst einer von zwei Geschäftsführern angeklagt, namentlich Edvin Novalic. Novalic war bereits im Februar vergangenen Jahres direkt nach der Durchsuchung der damaligen Geschäftsräume in Herrenberg verhaftet worden. Das Verfahren gegen ihn ist beschleunigt und abgetrennt worden, „weil er schon länger in Untersuchungshaft ist“, sagt Heiner Römhild, der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft. Weitere Prozesse werden folgen – sofern das Landgericht die zweite Anklageschrift ebenfalls zulässt. Sie ist gegen den Co-Geschäftsführer Lutz Beier und eine einstige Steuerberaterin des Unternehmens formuliert.

 

90 Millionen Euro sind im Ausland verschwunden

Gemessen an der Schadenssumme wird das Landgericht über einen der größten Fälle von Wirtschaftsbetrug im aktuellen Jahrzehnt zu urteilen haben. Die Reste des Unternehmens verwaltet der Insolvenzverwalter Holger Leichtle. Er schätzt den Schaden auf 90 Millionen Euro. Das Geld floss durch dunkle Kanäle ins Ausland. Die Spur zu verfolgen ist selbst Spezialermittlern misslungen, die der Insolvenzverwalter beauftragt hatte. Lediglich 430 000 Euro waren auffindbar. Hinzu kommt Sachvermögen in fünfstelligem Wert. Die Geschädigten sind rund 2000 Privatanleger, die dem Unternehmen ihr Erspartes anvertraut hatten. EN Storage hatte ihnen eine Verzinsung von 5,6 oder sogar 6,8 Prozent versprochen.

Erst sechs Wochen nach Novalic war Beier verhaftet worden. Er war in der Arbeitsteilung der Chefetage für die Finanzen zuständig, Novalic für die Technik. Das Unternehmen hatte vorgegeben, mit dem Anlegergeld Server zu kaufen. Der Gewinn sollte damit erwirtschaftet werden, dass Großauftraggeber die Kapazität der Datenspeicher mieten. Tatsächlich fanden die Ermittler nur vereinzelte Server. Die Datenspeicher waren offenbar nur zu dem Zweck angeschafft worden, potenzielle Anleger bei Besuchen zu beeindrucken.

Die weitere Anklage dürfte einen pikanten Nebenaspekt erhellen

Die Anklage gegen die einstige Steuerberaterin dürfte einen pikanten Nebenaspekt des Falls erhellen. Sie hielt auch den Kontakt zu den Wirtschaftsprüfern des Unternehmens. EN Storage hatte stets mit blendenden Geschäftszahlen geworben. Im letzten bilanzierten Geschäftsjahr war der angebliche Gewinn von 4,66 auf 6,07 Millionen Euro gestiegen, der Umsatz von 29 auf 55 Millionen Euro geradezu explodiert. Zwar waren diese Zahlen frei erfunden, aber von einer Stuttgarter Wirtschaftsprüfer-Kanzlei beglaubigt. Gleiches gilt für die angeblichen Geschäfte mit dem Anlegergeld. „Zumindest Fahrlässigkeit“ sei den Kanzleimitarbeitern vorzuwerfen, urteilte der Insolvenzverwalter. Die beiden Wirtschaftsprüfer, die die Papiere unterzeichnet hatten, haben die Kanzlei inzwischen verlassen. Einer von ihnen war dort als Partner tätig.

Der Prozess gegen Novalic beginnt am 22. Mai. Die Staatsanwaltschaft wie das Gericht scheinen überzeugt zu sein, dass die Beweise für eine Verurteilung ausreichen. Lediglich vier Prozesstage sind angesetzt, ungewöhnlich wenige für ein Betrugsverfahren dieser Größenordnung. Falls sich keine unerwarteten Fakten offenbaren, wird am 21. Juni das Urteil gesprochen.

Unabhängig vom Strafverfahren haben Prozesse begonnen, in denen Anwälte von Geschädigten versuchen, einen Teil des verlorenen Geldes ersetzt zu bekommen. Bisher endeten die Verfahren mit Vergleichen. Bis zu 50 Prozent des Verlusts haben die Beklagten als Schadenersatz angeboten. Details sind nicht bekannt. Bei Vergleichen wird standardmäßig ein Stillschweigen beider Parteien vereinbart. Bisher waren die Beklagten Anlageberater, die Wertpapiere von EN-Storage empfohlen hatten. Allerdings wollen die Juristen auch gegen die Wirtschaftsprüfer vorgehen.