An der Kindernarrenorgel soll sich der Nachwuchs ohne Scheu musikalisch ausprobieren.

Weil der Stadt - Dass ein Narrengottesdienst ganz besondere Geschöpfe anlockt, liegt in der Natur der Sache. Vor allem in der Fasnets-Hochburg Weil der Stadt, in deren Stadtkirche Peter und Paul die Bänke am Samstagabend voll ungewöhnlicher Gestalten sind, denen man so im Dunkeln nicht unbedingt begegnen möchte: Adrette Ballettratten sitzen neben den – nur fast – noblen Spicklingsweibern, den robusten Zigeunern, den Bären und den Clowns. Die Schellenteufel versuchen so leise, wie es ihnen mit ihrem Gewand voller Schellen eben möglich ist, einen Platz im Gotteshaus zu suchen.

 

Das ist nämlich ganz schön voll, denn der Gottesdienst ist nicht nur der Auftakt zum Zunftball und zum Endspurt der Fasnetszeit, sondern an dem Abend wird auch die Weiler Kindernarrenorgel geweiht, eine weltweit einzigartige Narrenorgel, erfunden von Johannes Bair.

Kinder sollen ihre Fantasie spielen lassen können

Der Weil der Städter Kabarettist, Musiklehrer und Organist hat zusammen mit Stadtpfarrer und Musiktalent Anton Gruber 2011 die Weil der Städter Narrenorgelakademie gegründet, die jetzt diese besondere Orgel erhält. „Die Idee kam mir, als ich beim Orgelhersteller Rohlfs eine fahrbare Stimmlade entdeckt habe“ erzählt Bair. Daraus entstand die Idee für dieses ganz besondere Instrument, das von der Orgelmanufactur Vleugels aus Hardheim zur Kindernarrenorgel umgebaut wurde.

„Wir wollten ein Instrument, das es Kindern erlaubt, ohne Vorbildung, ohne Überlegen und ohne Scheu Musik zu probieren“, erklärt Bair, „wir schaffen ein Improvisationszentrum, in dem die Kinder ihre Fantasie spielen lassen können, bevor sie in ein Schema gepresst werden.“ Von Schema kann bei der Kindernarrenorgel keine Rede sein, denn hier fehlt von vornherein das Notenpult. „Brauchen wir nicht“, sagt Bair. Schließlich soll improvisiert werden, und dafür gibt es Extrapfeifen: Die AHA Staunpfeife der Narrenzunft, eine Zungenpfeife mit den Tönen A und H. Weiter die ICE-Pfeife mit den Tönen C und E als Symbol für den Zug der Zeit, in dem wir sitzen. Und die Hexenpfeife mit nur dem einen Ton E, die Nachbildung einer Orgelpfeife als Hexe, die als Gegenpol zur Madonna betrachtet werden kann.

Ganz regional die vierte Orgelpfeife, die EDEKA-Pfeife mit den Tönen E, D, E und A als Lebensmittelpfeife für den hungernden Menschen, der nach Liebe und Gerechtigkeit hungert und dürstet. Und schließlich die Keplerpfeife, eine Pfeife als ausziehbares Hörfernrohr gedacht, als Pfeife des Übergangs, der Grenzenlosigkeit und der Sphärenharmonie.

Kirchen- und Narrenkalender hängen eng zusammen

Natürlich kann die Orgel auch ohne die Spezialpfeifen jedwede Melodie erklingen lassen, was während des Gottesdienstes von Pfarrer Gruber und Johannes Bair bewiesen wurde. Denn zum gottesdienstlichen Leitgedanken Treue, Gemeinschaft, Freude hauen Pfarrer Gruber und Musikant Bair abwechselnd in die Tasten, sie sitzen beinahe auf dem Boden dabei. Bei „Der treue Husar“ und „Jetzt trink mer noch a Flascherl Wein“ beben die Bänke, die Kirchengemeinde schunkelt gut gelaunt zum Abendmahl hin. Das dürfte Peter und Paul nur einmal im Jahr so erleben. Nämlich dann, wenn Narrengottesdienst ist, der bei aller Narretei die Gottesfürchtigkeit der Narren unterstreicht und noch mal zeigt, wie eng Kirchen- und Narrenkalender zusammenhängen.

Die Narrenzunft AHA hat die Kindernarrenorgel mitfinanziert, ebenso wie die Narrenorgelakademie Weil der Stadt, die Stiftung der Volksbank Weil der Stadt, die Stadt Weil der Stadt, der Künstler Dieter Groß, Helmut Huser, die Kolpingsfamilie Merklingen und weitere ungenannt bleibende Spender. Und bevor die Augustiner Brass Band in ihren roten Kutten den Gottesdienst so lebhaft beendet, wie sie ihn begonnen hat, bedankt sich der Herr aller Närrinnen und Narren freudig und ernsthaft bei Vätern und Finanziers der Orgel.