Die Krankheit sorgt noch immer für viele Missverständnisse. Kornelia Maday erzählt am Welt-MS-Tag von ihrer Erkrankung. Sie ist auch Vorsitzende vom Verein „MS Faces and Words“ in Rutesheim.

Rutesheim - Das erste Mal, als Kornelia Maday merkte, das mit ihr etwas nicht stimmte, war 2003. „Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern, damals waren wir mit den Kids Pizza essen“, erzählt die Frau. „Plötzlich wurden meine Beine ganz taub.“ Als es am nächsten Tag schlimmer wurde, suchte sie einen Arzt auf und landete wenig später auf der Intensivstation. Dann bekam sie die Diagnose: Multiple Sklerose. „Für mich brach eine Welt zusammen, und mein erster Gedanke war: Was wird aus den Kindern?“, berichtet die Rutesheimerin.

 

Wie bei den meisten verläuft die Krankheit bei ihr in Schüben. Das heißt: Die Symptome treten immer wieder auf und bilden sich nach einer gewissen Zeit zurück. „Die Symptome des ersten Schubs hielten vier Monate an“, sagt sie. 2005 folgten innerhalb von drei Monaten vier weitere Schübe. „Davon habe ich im linken Arm etwas behalten“, sagt sie. Beim Kartoffeln schälen fehlt ihr die Kraft, aber es hapert auch an der Motorik. Nach der Reha in 2006 wurde die kaufmännische Angestellte berentet. Auch wenn bisweilen der Arm oder das Gesicht kurzzeitig ertauben – „im Moment ist Ruhe“, sagt Maday, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist, wenn es auf einen längeren Spaziergang geht. „Es gibt gute und schlechte Tage!“

MS ist in Mitteleuropa die häufigste chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn, das Rückenmark sowie die Sehnerven befällt. Laut der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft sind bei uns bis zu 140000 Menschen betroffen. Obwohl seit Jahrzehnten geforscht wird, sind die Ursachen weitgehend unklar. Stress sei absolutes Gift für die symptomreiche Krankheit. „Und für die meisten Betroffenen ist die Sommerzeit besonders schlimm“, sagt sie und meint das Uhthoff-Phänomen. Die Hitze verstärke nämlich die Symptome. „Dann fühlt man sich wie durch den Fleischwolf gedreht!“

Eine richtige Aufklärung ist wichtig

Als die Rutesheimerin die Diagnose bekommen habe, sei sie nicht nur in ein tiefes Loch gefallen, erzählt die Frau, die aus ihrer geschiedenen Ehe drei Töchter hat. Die 59-Jährige habe sich auch von den Ärzten komplett im Stich gelassen gefühlt. Was es bedeute, mit der tückischen Krankheit zu leben, habe ihr niemand so richtig erklärt. „Der Arzt meinte nur: ‚Frau Maday, Sie sind eine starke Frau und kommen damit klar!’“, erinnert sie sich. „Die Leute bekommen die Diagnose und werden nach Hause geschickt, das finde ich schlimm!“

Damit anderen Erkrankten diese unangenehme Erfahrung erspart bleibt, hat sie mit anderen Betroffenen den Verein „MS Faces and Words“ gegründet – und ganz oben auf der Agenda steht die Aufklärungsarbeit. Die Mitglieder geben ihre Erfahrungen weiter, sei es bei Anträgen für Behörden oder bei Problemen im Alltag. „Nur die Wenigsten wissen, dass sie mit der Diagnose sofortigen Anspruch auf Rehabilitationsmaßnahmen haben“, sagt sie. Deswegen schwebt ihr auch vor, ein Notruftelefon für Neuerkrankte einzurichten.

Daneben greift der Verein Betroffenen auch finanziell unter die Arme. „Als sich eine Erkrankte mit ihrer Witwenrente eine neue Leserbrille nicht leisten konnte, sprangen wir in die Bresche, oder wir übernahmen schon mal eine Stromkostennachzahlung“, berichtet sie. Manchmal werde der gute Wille aber ausgenutzt. „Eine Betroffene wollte sich die Putzfrau bezahlen lassen, und es gab auch eine Anfrage wegen Reparaturkosten fürs Auto“, erzählt Maday, die mit ihren beiden Vorstandskolleginnen über den Zweck entscheidet.

Die Krankheit mit den 1000 Gesichtern

Denn die Mittel sind begrenzt, der gemeinnützige Verein finanziert sich überwiegend aus Mitgliederbeiträgen und Spenden. Und die Aktion der örtlichen Postagentur, die nach dem Absturz der Germanwings-Maschine den Verkauf der Bild-Zeitung einstellte und ihre Monatseinnahmen spendete, ist zwar bemerkenswert, aber eine Ausnahme. Gut, dass es da noch die Erlöse aus dem Verkauf des Buches „Mitten ins Herz“ gibt, die in die Förderprojekte fließen. Darin schildern Betroffene ihr Leben mit der Krankheit. Das Buch gab übrigens den Anstoß zur Vereinsgründung vor sechs Jahren und war auch namensgebend. „Faces“, weil man bei MS von der „Krankheit der 1000 Gesichter“ spricht, „Words“ steht derweil für die Geschichten dahinter.

Ihr zufolge sorgt die Krankheit nicht nur bei Betroffenen für Fragezeichen, eine große Unwissenheit herrscht erst recht bei Außenstehenden. „Viele denken noch immer, dass MS für Muskelschwund steht“, sagt sie. Zum Teil liegt das auch daran, weil viele Betroffene schweigen – aus Angst vor Stigmatisierung. Ihr habe sogar der Arzt dazu geraten. „Man sollte aber offen damit umgehen, sonst entstehen Missverständnisse“, sagt Maday und erzählt: „Ich bin mal zum Auto getorkelt, da dachten die Nachbarn, ich bin betrunken.“

„MS ist nicht das Ende der Welt“

Es hat lange gedauert, bis sie sich mit der Situation abgefunden hat. „Ich weiß nicht, ob man eine Krankheit akzeptieren kann, aber ich kann mit ihr umgehen“, sagt sie. Einen großen Anteil daran habe nicht zuletzt ihr Lebensgefährte Volkmar – er ist auch der Vereinskassier. „Er gibt mir so viel Kraft und kämpft jeden Tag an meiner Seite“, erzählt sie mit einem Lächeln.

Und dann gibt es noch die Wellensittiche, ihre „Therapievögel“. „Es ist eine große Freude, wenn sie auf meiner Schulter sitzen und mir ins Ohr flüstern“, erzählt sie lachend.

Neuerkrankten rät sie, sich anderen Betroffenen anzuvertrauen. „Dann bekommt man auch einen anderen Blickwinkel auf die Sache“, weiß sie aus eigener Erfahrung. Und dafür sei eben der Verein da. Menschen, die das gleiche Schicksal teilen, macht die lebenslustige Frau Mut. Schließlich sei MS keine tödlich verlaufende Krankheit. „Es ist nicht das Ende der Welt“, sagt sie. „Man kann auch mit MS ein schönes Leben haben!“

MS – Faces and Words

Verein
Der nicht eingetragene gemeinnützige Verein MS Faces and Words, der 2011 gegründet wurde und 20 Mitglieder zählt, sieht sich als „Rettungsschirm“ für an Multipler Sklerose erkrankte Menschen, die „sonst durch jede Masche fallen“. Der Verein bietet Rat bei Anträgen, Tipps für den Alltag sowie finanzielle Hilfe und stellt auch den Kontakt zu Ärzten und Therapeuten her, die ehrenamtlich weiterhelfen.

Internet www.ms-facesandwords.de