Birgit Widmaier und Bernd Murschel über Umwelt, Verkehr und neue Ideen.

Leonberg - Da fragt sich so mancher Spaziergänger zu Recht, was denn drei Leute mitten auf einem Acker machen. Doch das Grünen Spitzen-Duo Bernd Murschel und Birgit Widmaier hat bewusst ein Maisfeld bei Warmbronn fürs Sommergespräch ausgesucht. Hier lasse sich der Klimawandel besonders gut erkennen.

 

Frau Widmaier, Herr Dr. Murschel, von allen Sommergespräch-Orten ist ein freies Feld bisher der ungewöhnlichste.

Murschel: Das leere Maisfeld belegt, dass der Klimawandel voll im Gange ist. Es wurde so früh geerntet wie noch nie, weil der Mais vor sich hingekümmert war. Es sind tiefe Risse im Boden.

Kann die Kommunalpolitik etwas ändern?

Widmaier: Durchaus. Wir müssen mehr Flächen begrünen, um das Aufheizen im Sommer abzumildern. Ein Negativ-Beispiel ist der neue Rathausvorplatz, den man viel grüner hätte gestalten können.

Murschel: Die Formel ist ganz einfach: Je mehr Asphalt, desto mehr Wärme. Überall wo Wasser verdunsten kann, kühlt es ab.

Der Ruf nach mehr Grün steht im Widerspruch zum Ruf nach mehr Wohnflächen.

Murschel: Es ist nicht richtig, beide Zielsetzungen gegeneinander auszuspielen. Natürlich haben bezahlbare Wohnungen im Ballungsgebiet eine besondere Bedeutung. Wir brauchen beides: Lebensqualität und Platz zum Wohnen.

Es wird zwar viel gebaut – aber das Falsche

Wie soll das gehen?

Widmaier: Wir bauen zwar viel, aber das Falsche. Einfamilienhäuser sind kein Modell für die Zukunft. Der Geschosswohnungsbau muss erweitert werden, auch da gibt es attraktive Formen. Warum werden zum Beispiel auf den neuen Rewe-Markt, der gerade in der Römerstraße gebaut wird, nicht noch einige Etagen draufgesetzt? Auch Holzhäuser sind eine zusehends interessante Alternative.

Sind Sie für Häuser an der Berliner Straße?

Widmaier: In unserer Fraktion gibt es keine einheitliche Meinung. Zunächst müssen wir Pläne sehen, was da passieren soll.

Könnte eine kommunale Baugesellschaft den Zweiklang zwischen Qualität und Platzbedarf nicht besser steuern?

Murschel: Die Erfahrungen zeigen, dass solche Projekte in die Hose gehen können.

Widmaier: Es reicht, wenn die Stadt selbst aktiv wird. Wenn sie Flächen kauft, kann sie mit dem Hebel Planungsrecht bestimmen, was dort geschieht.

Im Moment werden auffällig viele Baulücken geschlossen.

Murschel: Wir müssen aufpassen, dass das nicht die Leerstände der Zukunft werden. Das ständige Wachstum wird nicht ewig so weiterlaufen.

Grünen sympathisieren mit kostenlosem Stadticket

Mehr Menschen bringen mehr Verkehr...

Widmaier: Wir stellen seit vielen Jahren Anträge, um das Radnetz und den Nahverkehr zu verbessern. In der jüngsten Vergangenheit trägt dies Früchte.

Zum Beispiel durch ein stadtweites Ticket?

Widmaier: Der Ansatz ist gut. Allerdings ist der Preis zu hoch. Mit 1,40 Euro bringt man wenige zum Umsteigen. Wir haben Sympathien für ein kostenloses Stadtticket.

Murschel: Das würde zwar einen Zuschuss von einigen Hunderttausend Euro erfordern. Aber wir dürfen nicht mehr im Kleinen herumwerkeln. Es muss grundlegend etwas geschehen. Herrenberg ist Modellstadt für einen neuen Verkehr, wir nicht.

Mit einer Seilbahn wäre Leonberg weit mehr als eine Modellstadt.

Murschel: Diese Idee gibt es auch in Stuttgart, man muss sie ernsthaft betrachten und sehen, ob es sich für Leonberger Verhältnisse eignet.

In der Innenstadt mehr für Radfahrer tun

Ihr Ratskollege Frank Albrecht hat im Sommergespräch angeregt, dass Leonberg einen eigenständigen Nahverkehr organisiert.

Murschel: Die Menschen sind ja nicht nur innerhalb der Stadtgrenzen unterwegs. Deshalb muss man den Tarifverbund schon als Einheit betrachten. Für zusätzliche Linien benötigen wir mehr Busse und mehr Personal. Das sind komplexe Aufgaben. Wenn wir Linienführungen verbessern können, tun wir das.

Widmaier: Grundsätzlich ist es so, dass bei den Investitionen in den Verkehr die Verhältnismäßigkeit nicht stimmt. Es wird deutlich mehr für die Straßen ausgegeben.

Bei den Radwegen tut sich einiges.

Widmaier: Das ist richtig, die Verbindungen vom Zentrum in die Stadtteile sind gut. Aber wir dürfen nicht bei der Hälfte stehen bleiben. In der Innenstadt muss für Radfahrer noch viel geschehen.

Murschel: Die Pedelecs verändern das Fahrverhalten erheblich. Man muss denen viel mehr Raum geben, gerade im Zentrum.

Bleiben wir in der Innenstadt. Immer noch wird um ein Profil für den Marktplatz gerungen, immer noch gibt es eine massive Debatte um das Altstadt-Parkhaus.

Murschel: Der Eingang ist furchtbar, das graust einen richtig. Die Orientierung ist schwierig. Die Stadtwerke haben die großen Chancen nicht genutzt, die sie hatten, als sie die Parkkaverne übernommen haben. Der verantwortliche Bürgermeister Ulrich Vonderheid hätte da viel forscher herangehen müssen.

Der Gemeinderat hat beschlossen, einen Citymanager einzustellen...

Murschel: ... nachdem wir viele Jahre darüber gesprochen haben.

Widmaier: Wir haben positive Erwartungen. Deshalb ist es gut, dass diese Stelle nicht befristet wurde, so wie es einige wollten. Ein Citymanager kann die vielen Aktivitäten, die es in der Stadt jetzt schon gibt, besser bündeln und vermarkten. Es gibt sehr gute Aktionen, zum Beispiel die Kunstnacht oder ganz aktuell den Altstadt-Garten, den die Werbegemeinschaft „Faszination Altstadt“ ins Leben gerufen hat.

Murschel: Die weitere Stadtentwicklung mit der Bebauung des Postareals und dem Brückenschlag lässt ebenfalls hoffen. Man muss gerne zu Fuß durch Leonberg gehen.

„Wir erleben Martin Kaufmann sehr aufgeschlossen“

Im Moment erinnert die Eltinger Straße eher an eine Stadtautobahn.

Widmaier: Hier brauchen wir unbedingt einen Gestaltungswettbewerb, um eine gute Lösung zu finden. Ideal wäre, wenn wir eine Spur für Busse und Radfahrer haben.

Und was machen Sie mit den Autos, die von der überfüllten A 8 abfahren?

Murschel: Da gibt es keine städtische Lösung. Für wirksame Umfahrungen brauchen wir großräumige Strukturen.

Da liegen Sie auf Linie mit Martin Kaufmann. Wie haben Sie den Oberbürgermeister in seinem ersten halben Jahr erlebt?

Murschel: Wir erleben ihn sehr aufgeschlossen. Er bringt viele Ideen mit. Natürlich gibt es eine große Erwartungshaltung an ihn. Er muss nun konkret werden, was er wirklich umsetzen will. Er kann einiges optimieren, daher wollen wir konstruktiv mit ihm zusammenarbeiten.

Widmaier: Wir merken jetzt schon, dass er sich mit den Anträgen aus dem Gemeinderat ernsthaft auseinandersetzt. Das Stadtticket oder Verbesserungen an Haltestellen standen vorher nicht zur Debatte.

Einige beschreiben ihn als autoritär.

Murschel: Herr Kaufmann ist manchmal etwas ungeduldig. Aber er weiß, dass er hier nicht als Sonnenkönig durchziehen kann. Er hat neu in einer Großen Kreisstadt mit bald 50 000 Einwohnern angefangen. Das ist ein großes Paket.

„Wir sind alles andere als überflüssig“

Momentan ist die Umwelt in der politischen Debatte nicht mehr das Thema Nummer 1. Haben es die Grünen besonders schwer?

Widmaier: Das liegt daran, dass die anderen Parteien unsere Themen längst aufgegriffen haben. Das ist doch erfreulich.

Murschel: Deshalb sind wir aber alles andere als überflüssig. Wir stehen nicht nur bei der Mobilität am Anfang einer großen Debatte. Hier müssen wir unsere Funktion als treibende Kraft wahrnehmen.