Das 1950 gegründete Schuhhaus Bayer an der Ecke Römer-/Stohrerstraße stellt zum 1. Juli seinen Betrieb ein, weil sich kein Nachfolger für den Geschäftsführer Joachim Roth finden ließ.

Leonberg - Die Zeichen des Abschieds sind unübersehbar: Die Schaufenster sind mit breiten gelben Streifen überklebt, „Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe“ steht darauf. Nur eine Traube aus blauen und grünen Luftballons erinnert an die guten alten Zeiten – und davon gab es im Schuhhaus Bayer einige.

 

Als es 1950 von Hermann und Auguste Bayer an der Ecke Römer- und Stohrerstraße gegründet wurde, war es das erste Haus im Distelfeld. 60 Quadratmeter betrug die Verkaufsfläche damals, seit der letzten Vergrößerung im Jahr 1996 wurden auf 400 Quadratmetern rund 20 000 Paar Schuhe präsentiert. Doch zum 1. Juli dieses Jahres ist Schluss: Joachim Roth, der seit 1988 als Geschäftsführer die Geschicke des Hauses leitet, geht mit 64 Jahren in den Ruhestand, einen Nachfolger gibt es nicht. „Mein Sohn hat sich beruflich anders orientiert“, sagt Roth, ein anderer Nachfolger für den Familienbetrieb ließ sich nicht finden. „Der Einzelhandel hat sich verändert“, sagt Roth.

Beratung im Geschäft, Kauf online

Vor allem das Verhältnis zum Kunden. Einen gewichtigen Anteil daran haben Internetanbieter wie Zalando und Co., die dem Einzelhandel massiv Kunden wegnehmen. „Wir sind ein sehr beratungsintensiver Betrieb. Das hat sich über Jahrzehnte ausgezahlt, als Eltern mit ihren Kindern ins Schuhhaus Bayer gekommen sind und diese von klein auf mit unseren Schuhen aufgewachsen sind“, erläutert Roth.

Seit etwa zwei Jahren habe er aber immer öfter feststellen müssen, dass Kunden nur noch zur Beratung gekommen seien und die Schuhe dann online gekauft hätten. „Einige haben mit dem Smartphone bei uns im Geschäft fotografiert und Artikelnummern bei uns erfragt“, erzählt Roth weiter. Manche hätten sogar im Laden die Preise mit denen von Internethändlern verglichen.

Verständnis für den Wert der Ware fehlt

Zunächst habe er noch gehofft, man könne sich mit diesem Phänomen arrangieren. „Aber nicht nur die junge Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, kauft verstärkt online, sondern es zieht sich quer durch die Altersschichten“, bedauert Roth, der noch einen zweiten Grund nennt, warum sich der Einzelhandel immer schwerer tut. „Die ,Geiz ist geil’-Kampagne der Elektronikhandelskette Saturn, die nur den Preis in den Mittelpunkt gestellt hat, hat das Verständnis für den Wert einer Ware kaputt gemacht“, sagt Roth.

Mit solchen Problemen muss sich der Geschäftsführer von Juli an nicht mehr beschäftigen: Seit dem 18. Mai hat der Räumungsverkauf begonnen, bei dem die letzten rund 10 000 Paar Schuhe an den Mann beziehungsweise an die Frau gebracht werden sollen. „In den ersten drei Tagen herrschte Hochbetrieb“, freut sich Roth. Überrascht ist er aber, wie viel Emotionen dies bei den Leonbergern auslöst. „Viele Kunden sagen, dass mit uns eine Institution wegbreche“, berichtet der scheidende Geschäftsführer. Eine Frau habe Tränen in den Augen gehabt, eine andere habe einer Verkäuferin eine Pralinenschachtel und einen handgeschriebenen Dankesbrief überreicht.

Ein Stück Stadtgeschichte endet

Viele Kunden würden sich für die Beratung und Versorgung mit guter Ware in den vergangenen Jahren bedanken. „Bei solchen Reaktionen denke ich manchmal, wir hätten das Zehnfache unseres Jahresumsatzes machen müssen“, sagt Roth mit einem Augenzwinkern. Massiv beschäftigt den Geschäftsführer jedoch, dass mit der Aufgabe des Schuhhauses neun Voll- und Teilzeitkräfte ihre Jobs verlieren werden. „Viele sind seit den 80er-Jahren bei uns, eine sogar schon seit 1972“, verrät er. Am Ende seien aber auch genau diese langjährige Zusammenarbeit und das Vertrauen ausschlaggebend dafür gewesen, dass er es sozial verantworten könne, den Laden zu schließen.

Roth weiß, dass Leonberg nicht nur ein Familienschuhhaus verliert, in dem Damen, Herren und Kinder Haus- und Freizeitschuhe gefunden haben, sondern ein Stück Stadtgeschichte. „Schuh Bayer war ein Begriff, viele haben gesagt, treffen wir uns doch beim Schuh Bayer“, erzählt er. Und vielleicht werden die Leonberger Bürger auch ein bisschen die originellen Sprüche vermissen, mit denen das Schuhhaus immer wieder auf sich aufmerksam gemacht hat: „Wenn es um Schuhe geht, möchten wir gerne mit Ihnen anbändeln“, hieß einer, ein anderer: „Wer geht heute noch vor seinen Kunden auf die Knie?“.