Die Roben sitzen – jetzt muss nur noch das Urteil gesprochen werden. Beim Ferienprogramm erhalten die Kinder einen Einblick in das Leonberger Amtsgericht und dürfen sogar selbst eine Verhandlung nachspielen.

Leonberg - Die Beweise gegen Jochen Müller sind erdrückend. Seine Anwältin zieht alle Register: „Vielleicht kann er für den Geschädigten auch mal einkaufen oder seinen Rasen mähen“, sagt sie, um die von der Staatsanwaltschaft geforderten 60 Arbeitsstunden herunterzuschrauben. Der Richter zeigt sich nachsichtig: „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: der Angeklagte wird wegen Diebstahls und Körperverletzung zu einer Arbeitsauflage von 25 Stunden verurteilt.“ Der Delinquent hatte in einem Kaufhaus eine Tokio-Hotel-CD mitgehen lassen und auf der Flucht den einschreitenden Sicherheitsmann unsanft zu Boden befördert.

 

Jochen Müller heißt in Wirklichkeit Connor. Er ist acht Jahre alt und hat mit der Band um die Kaulitz-Brüder nicht sonderlich viel am Hut. Beim Sommerferienprogramms stellten er und andere Kinder ein Strafverfahren am Leonberger Amtsgericht nach und schlüpften dazu in die Rollen der Beteiligten – mit allem, was dazugehört, einschließlich der schwarzen Robe. Nur mit einem Gerichtshammer konnte Andrea Bischoff-Schwarz nicht dienen. „Das gibt es in Deutschland nicht“, sagte die Familienrichterin. „Manchmal hätte ich doch ganz gerne einen Hammer, um für mehr Ruhe zu sorgen.“

Wo verstecken sich die Paragrafen?

Gemeinsam mit der Verwaltungsleiterin Monika Olbertz gewährte sie den Kindern einen Einblick hinter die Kulissen des Amtsgerichts in der alten Schlossanlage. Die kleinen Besucher erfuhren, welchen Weg eine Anklage nimmt, bevor sie auf dem Schreibtisch des zuständigen Richters landet, oder auch, dass Richter nicht unbedingt jeden Paragrafen aus dem Effeff kennen. „Man muss nur wissen, wo man ihn findet“, sagte Richterin Bischoff-Schwarz, bevor es die Gruppe auf den Dachboden des Gerichts verschlug.

Dort ist nämlich das Archiv untergebracht, wo sich mehr als 100 000 Akten stapeln – beim Amtsgericht werden aber nur Unterlagen zu Familien- und Zivilsachen deponiert, Strafsachen-Akten liegen bei der Staatsanwaltschaft in Stuttgart. „Mindestens fünf Jahre bleiben die Akten hier, manche aber auch deutlich länger“, erklärte Rechtspflegerin Olbertz und holte ein sogenanntes Güterrechtsregister aus dem Jahr 1900 hervor, in das die ehelichen güterrechtlichen Verhältnisse eingetragen wurden. „Damals konnten die Männer sogar vermerken lassen, dass ihre Frauen nicht über das Geld verfügen dürfen“, berichtete sie.

„Die Polizei holt sie – der Wachtmeister passt auf"

Ganz hoch im Kurs stand bei den Kindern der Gerichtswachtmeister, der in seiner Aufmachung zwar einem Polizeibeamten ähnelt, aber eine gänzlich andere Aufgabe erfüllt. Noch bevor dieser das Wort ergriff, erklärte Drittklässler Jim den Unterschied folgendermaßen: „Die Polizei holt sie, und der Wachtmeister passt auf!“ Na, fast richtig. Neben verwaltungstechnischen Dingen sorgt Heiko Paver für einen reibungslosen Verlauf der Gerichtsverhandlung. Statt einer Pistole trägt er Handschließen mit sich.

„Wenn die Handschließen bei kräftigeren Leuten nicht passen, dann muss Kabelbinder her“, erklärte der Wachtmeister, der aber das letzte Wort Jim überlassen musste. „Mein Opa nimmt auch immer Kabelbinder, wenn mein Bruder frech ist“, berichtete er. Am Ende standen die Kinder Schlange, um sich die Handschließen anlegen zu lassen.

Es geht um Transparenz

Der Besuch des Amtsgerichts wurde von der gemeinnützigen PräventSozial GmbH (Bewährungshilfeverein Stuttgart) organisiert, die Zeugen kostenlos vor, während und nach einer Gerichtsverhandlung unterstützt. „Es geht darum, Transparenz zu schaffen“, sagte Christian Veith über den Zweck der Exkursion in die Altstadt. Der Sozialpädagoge, der sich mit seiner Kollegin Sabine Kubinski der Kindergruppe annahm, erklärte: „Bei Playmobil etwa gibt es zwar die Polizei, Räuber und das Gefängnis, doch das Gericht, also der Teil dazwischen, fehlt.“

Einen bleibenden Eindruck hinterließ bei den Kindern auch das inszenierte Strafverfahren, das den ein oder anderen dazu bewog, sich eine Karriere am Gericht auszumalen. Nachwuchs-Richter Philipp aus Leonberg war durchaus zufrieden mit seinem salomonischen Urteil. Jeanette, die als Anwältin eine gute Figur machte, fiel es nicht leicht, einen Schuldigen zu verteidigen. „Aber eine gestohlene Tokio-Hotel-CD ist nicht die Welt“, resümierte die Zehnjährige aus Grafenau.

Nur Connor, der mit der Anklagebank vorliebnehmen musste, fühlte sich in seiner Rolle überhaupt nicht wohl. „Dann lieber doch keinen Blödsinn machen“, lautete das Fazit des Achtjährigen aus Bretten.