Kolumne
Wir schaffen Platz für Gärten, Grünes, Gelbes, Buntes in Wald und Flur. Heute stellt Barbara Bross-Winkler Ihnen zwei Zitruspflanzen vor, die gern mal verwechselt werden, offenbar sogar mal von gelernten Gärtnern.

Leonberg - So kann man sich täuschen. Die Erde ist eine Scheibe. Atomkraftwerke sind sicher. Das Museum of Modern Art in New York wollte vor rund 60 Jahren ein Andy-Warhol-Bild nicht mal geschenkt haben. Und Joanne K. Rowling konnte ihren Harry Potter hinschicken, wo sie wollte: Die Verlage hatten reihenweise kein Interesse. Blöd gelaufen. So sehr kann man sich irren.

 

Offenbar reihen sich im Leben die Irrtümer, Fehlurteile und Denkfehler in schöner Regelmäßigkeit aneinander. Man ist verblendet, sitzt auf dem falschen Dampfer, ist schief gewickelt oder hat sich vergaloppiert, womöglich auch noch mitten auf dem Holzweg. Ein Trost, dass Henrik Ibsen einmal konstatiert hat: „Alle Entwicklung ist bis jetzt nichts weiter gewesen als ein Taumeln von einem Irrtum in den anderen.“

Auch in meinem Leben liegen die Irrtümer eng gedrängt beieinander. Allerdings sind sie selten so teuer wie die Warhol-Pleite. So habe ich neulich beim Unkrautzupfen auf einem unserer nie genutzten Balkone an dies und das gedacht, unter anderem daran, dass man wenigstens im ersten Stockwerk auf seinem Balkon vor Nacktschnecken sicher ist. Und schwupps, eine zehntel Sekunde später tatschten meine Finger in der mit Kies gefüllten Türspalte in einen etwa 20 Zentimeter langen Tigerschnegel. Ich habe ein bisschen hyperventiliert und grimassiert und dann auf der körpereigenen Festplatte abgespeichert, dass Anschläge schleimiger Schnecken wohl doch eher jederzeit und überall drohen – bei mir im Übrigen sogar im Traum.

Über das Molluskengetier werde ich eines Tages einen mörderisch langen Artikel voller schlimmer Beichten fertigen müssen. Doch heute soll es um eine schöne Pflanze im Garten der Gerlingerin Heidi Rothe-Wörner gehen. Sie hat mich auf die tollen Früchte ihrer Pomeranze aufmerksam gemacht. Die hängen kugelrund und gelb in Tischtennisball-Größe am Baum und verbreiten ganz viel mediterranes Flair im bezaubernden Innenhöfchen. Vor 41 Jahren ist die frühere Leiterin des Gerlinger Stadtmuseums in ihr schmuckes altes Fachwerkhäuschen mitten im Ort gezogen. Ein Jahr später hat sie das Mini-Bäumchen, laut Gärtner eine Pomeranze, gepflanzt, an dem sie von Anfang an Freude hatte.

Indes: wäre das Bäumchen tatsächlich eine Pomeranze, so würde Heidi Rothe-Wörner die Früchte nicht so großzügig als Mottenstopper für Kleiderschränke und schöne Dekofrüchtchen verschenken. Hätte sie tatsächlich Pomeranzen, so würde sie aus den orangefarbenen Früchten wunderbar bittersüße Orangenmarmelade, die britische „Marmalade“, kochen. Meiner Ansicht nach hat Heidi Rothe-Wörner nämlich eine Dreiblättrige Orange, auch Poncirus trifoliata genannt, die auch ich einst als absoluten Winzling von einem Gartenmarkt heimgetragen und im Garten auf Nimmerwiedersehen vergraben habe.

Unterscheiden kann man die beiden Zitruspflanzen, die zur Familie der Rautengewächse gehören, eigentlich ganz gut. Pomeranzen sind eine Kreuzung aus Pampelmuse und Mandarine und die Frucht sieht einer Orange sehr ähnlich, ist etwas kleiner, hat eine dickere, rauere Schale, manchmal mit spitzen Auswüchsen. Pomeranzen wachsen als immergrüne Bäume und ertragen Temperaturen bis minus zwei Grad. Sie schmecken roh bitter. Doch kann man aus ihnen, wie gesagt, leckere Orangenmarmelade kochen oder auch Orangeat aus der Schale gewinnen. Außerdem sind Pomeranzen in Orangenlikören zu finden und in zitronigen Duftwässern.

Die Dreiblättrige Orange dagegen ist ein laubabwerfender, stark bedornter Baum, geht in eine tiefe Winterruhe und ist so bis minus 25 Grad frosthart. Leicht zu erkennen ist sie an den dreiteiligen Laubblättern und an den flaumig behaarten kleinen Früchten. Kaum jemand würde die bitter-sauren Dinger gern essen. Aber der Baum wird oft als Veredelungsunterlage verwendet. Wird diese Orange etwa mit Zitronen gekreuzt, so entstehen Citremon-Hybriden, bei einer Kreuzung mit Mandarinen gibt es Citrandarin.

Jenen, die das ein wenig kompliziert finden, die aber Orangenmarmelade mögen, kann ich mit einem ganz einfachen, arbeitsintensiven Rezept weiterhelfen, dessentwegen ich mich immer schon auf den Winter und seinen Nachschub an Bio-Orangen freue. Man nehme ein Kilo Bio-Orangen, wasche sie gründlich, ziehe die Orangenhaut ab und schabe mit einem scharfen Messer möglichst viel von der weißen Innenhaut weg. Die so befreiten Schalen werden in Fitzelchen geschnitten, ebenso das Fruchtfleisch. Dasselbe mache ich meist noch mit einer Zitrone, die ebenfalls im Gemisch landet. Ich koche diese Marmelade immer nur mit normalem Zucker auf, weil sie dann etwas flüssig bleibt und sich super im Naturjoghurt verteilen lässt. Diese Kombination ist einfach perfekt.

Meinem Mann, der aus reiner Nettigkeit immer wieder mal Interesse an meinen Gartenthemen heuchelt, habe ich erzählt, dass selbst ein gelernter Gärtner sich mit der angeblichen Gerlinger „Landpomeranze“ meiner Ansicht nach getäuscht hat. Wie immer hatte der Gatte sofort eine tolle Idee für eine zündende Überschrift, die auch noch die Auflage der Zeitung in ungeahnte Höhen treiben werde: „Hat Gerlinger Gärtner Pomeranzen auf den Augen?“ Ich finde ja, man muss nicht immer aus allem eine Riesenskandalstory basteln. Wobei, die Vorstellung von Pomeranzen statt Tomaten auf den Augen hat ja schon was.