Notfallsanitäter und Ärzte haben die Initiative „15 Minuten fürs Überleben“ gestartet. In anderthalbstündigen Kursen vermitteln sie die Grundlagen der Reanimation. Denn was passiert, wenn Wiederbelebungsmaßnahmen ausbleiben, erleben sie tagtäglich.

Leonberg - Joachim Böttinger und Peter Cartes fackeln nicht lange. „In Deutschland sterben jährlich zwischen 70 000 und 90 000 Menschen, weil sie in den ersten Minuten nach einem Herzstillstand keinerlei Wiederbelebungsmaßnahmen erfahren“, eröffnet Böttinger das Gespräch. „Dabei ist jeder in der Pflicht, etwas zu tun“, ergänzt Cartes. Als Notfallsanitäter (Böttinger) und als leitender Notarzt im Landkreis (Cartes) ist schnelles Handeln ihr täglich Brot, ob nun im Krankenhaus Leonberg oder beim Einsatz mit dem Rettungshubschrauber Christoph 41.

 

Doch egal, wie schnell dieser fliegt oder wie schnell ein Rettungswagen durch die Straßen rast – „wir haben bei einem Herzstillstand kaum eine Chance, wenn in den ersten 15 Minuten keiner reanimiert“, erklärt der Notfallmediziner. Bei einem Herzstillstand pumpt das Herz kein Blut mehr durch den Körper, Gehirn und Organe werden nicht mehr mit Sauerstoff versorgt. Mit jeder Minute ohne Reanimation sinken die Überlebenschancen um zehn Prozent. „Viele Menschen könnte man retten, wenn jemand diese entscheidenden Minuten überbrückt, bis die Rettungskräfte eintreffen“, erklärt Böttinger.

Zu oft haben die beiden und ihre Kollegen das erlebt. Aus diesen Erfahrungen heraus entstand die Idee zur Initiative „15 Minuten fürs Überleben“. In ein- bis anderthalbstündigen Kursen werden den Teilnehmern die Grundlange der Reanimierung beigebracht. „Das sind kurze, knappe Informationen, die sich jeder sofort merken kann“, sagt Joachim Böttinger. Er leitet regelmäßig Kurse, etwa an Schulen oder in Betrieben. Dazu informieren die Rettungskräfte in ihrer Freizeit auf Messen und Veranstaltungen, haben Lehrmaterial und Flyer sowie eine Internetseite erstellt. Nach und nach ist ein Netzwerk aus interessierten Kollegen, aber auch anderen Unterstützern aufgebaut worden, etwa dem Sindelfinger Oberbürgermeister. „Wir wollen keine Konkurrenz zu Erste-Hilfe-Kursen und dem DRK sein“, betont Notarzt Cartes. Der Schwerpunkt der Initiative liege woanders. Es stecke auch kein finanzielles Interesse hinter dem Lehrangebot.

„Wenn wir es hinkriegen, diese 15 Minuten zu überbrücken, dann funktioniert auch die Rettungskette“, meint er. Nur dann kann auch die Behandlung im Leonberger Krankenhaus erfolgreich verlaufen, wo es etwa ein Herzkatheterlabor gibt. Der dortige Chefarzt Olaf Weber, der die Initiative unterstützt, nennt drei Gründe, warum die überlebenswichtige Hilfe oft ausbleibt: „Zunächst wissen viele einfach nicht wie es geht. Dann haben sie Angst, etwas falsch zu machen. Und zum Dritten gibt es die Angst, sich zu exponieren.“ Viele warteten einfach ab, anstatt selbst Hand anzulegen. Wobei Hand anlegen das richtige Stichwort ist. Prüfen, rufen, drücken – so laute vereinfacht, was zu tun ist. „Sie prüfen, ob derjenige noch bei Bewusstsein ist und atmet. Sie wählen den Notruf 112. Und dann fangen sie mit der Herzdruckmassage an“, erläutert der Leonberger Notarzt Peter Cartes.

„Das Einzige, das man falsch machen kann, ist, nichts zu tun“, meint der Notfallsanitäter Joachim Böttinger. Bei der Frühanimationsrate bilde Deutschland innerhalb Europas das Schlusslicht. Nur in etwa 15 Prozent der Fälle würden bei Menschen mit einem Herzstillstand Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt. „Das ist erschreckend“, sagt Böttinger. In den Niederlanden dagegen liege die Rate bei 70 Prozent. Dort werde die Reanimierung aber bereits in der Schule vermittelt.

Bis so etwas flächendeckend in Deutschland gemacht werden könne, vergehen noch mindestens 15 Jahre. Bis dahin wollen die Rettungskräfte „im Kleinen“ rund um Leonberg weiterarbeiten. So haben sie etwa im Herbst 170 Lehrer des Beruflichen Schulzentrums unterrichtet, nachdem eine Kollegin während der Arbeit einen Herzstillstand erlitten hatte. Auch Schulungen bei Vereinen oder Firmen gab es. Über 500 Menschen wurden 2015 ausgebildet.

„Die meisten Fälle passieren aber in der Familie oder im Freundes- und Bekanntenkreis, nicht mit Fremden“, berichtet der Notfallsanitäter. Deshalb sollte jeder für den Ernstfall vorbereitet sein. Denn dann kommt es auf jede Minute an.