Hat ein ortsbekannter Weissacher eine ganze Reihe von Bürgern beleidigt? Hat er verleumderische Gerüchte über sexuelle Belästigung im Leonberger Rathaus verbreitet? Um diese Vorwürfe geht es derzeit vor dem Landgericht Stuttgart.

Leonberg/Weissach - Hat ein 58-jähriger ortsbekannter Weissacher eine ganze Reihe von Bürgern als „Neonazis“ beleidigt? Hat er verleumderische Gerüchte über sexuelle Belästigung im Leonberger Rathaus verbreitet? Und hat er einen Weissacher mit Pfefferspray attackiert? Um diese Vorwürfe geht es derzeit vor dem Landgericht Stuttgart. Im vergangenen Jahr war der gelernte Arzt wegen dieser Vorwürfe vom Leonberger Amtsgericht zu 3300 Euro Strafe verurteilt worden.

 

Dem Verteidiger erschien das zu viel, der Staatsanwaltschaft zu milde. Weil beide Berufung eingelegt haben, wird der Prozess in der nächsten Instanz neu aufgerollt.

Mit Warnweste vor Gericht

Der Angeklagte nutzt die große Bühne. Mit der für ihn typischen gelben Warnweste erscheint er vor Gericht, stellt einen Tetrapak Milch auf das Pult und blättert während der Verhandlung ständig in einem Strafgesetzbuch. Mit einem schwarzen Edding schreibt er alles mit.

Der Verteidiger Bernd Kiefer hat alle Mühe, den Redefluss des 58-Jährigen zu bremsen, der sich rechtlich erstaunlich gut auskennt – und jeden Zeugen mit weiteren Unterstellungen konfrontiert. Im Kern geht es um zwei Themenkomplexe. Einmal gibt es gleich eine ganze Heerschar von Personen, die der 58-Jährige als „Neonazi“ und „Alkoholiker“ bezeichnet hat. Daraus ergibt sich eine kaum noch überschaubare Flut an Verfahren, die gebündelt werden.

So sagt ein 21-jähriger Informations-Elektroniker aus Leonberg aus, der 2011 an einer Bushaltestelle in Rutesheim saß. „Der Angeklagte hat einer anderen Gruppe Jugendlicher gesagt: Das sind Nazis!“, berichtet der Zeuge. Andere Zeugen berichten, der 58-Jährige habe sie fotografiert, bei der Polizei angezeigt und verfolgt.

„Neonazifreundliche Ermittlungen“

Weiterer Vorwurf: der Angeklagte soll auf einem Fußballplatz in Weissach Jugendliche beleidigt haben. Daraufhin stellte ihn einer der Väter zur Rede – und soll von ihm in dem Disput mit Pfefferspray angegriffen worden sein. Auch einen 51-jähriger Werkzeugmeister soll er als „rechtsextremen Alkoholiker“ tituliert haben. Sogar dem Rutesheimer Polizeiposten unterstellte der Weissacher „neonazifreundliche Ermittlungen“ – weswegen die Ordnungshüter selbst Anzeige erstatteten.

Das zweite Thema spielt Anfang 2012. Der Angeklagte kommt zu dieser Zeit ständig ins Ordnungsamt im Alten Rathaus in Leonberg. „Er war praktisch täglich bei uns“, erzählt der Erste Bürgermeister Ulrich Vonderheid, der als Zeuge geladen ist. Meistens habe der 58-Jährige nur mitgeteilt, dass Schilder verschmiert seien.

Doch eines Tages sei der Weissacher ganz aufgeregt zu Vonderheid gekommen: „Er hat mir gesagt, es gebe sexuellen Missbrauch im Alten Rathaus.“ Der Erste Bürgermeister ging der Sache nach, die sich schnell als Missverständnis herausgestellt habe. Der Angeklagte habe ein flapsige Bemerkung eines Mitarbeiters falsch interpretiert. Das angebliche Opfer weist als Zeugin den Vorwurf entschieden von sich: „Ich bin ziemlich schockiert!“

Doch der 58-Jährige hielt die Behauptung trotzdem über mehrere Wochen weiter aufrecht, unter anderem in E-Mails an fast sämtliche Amtsträger der Region. Daraufhin zeigte die Stadt ihn wegen Verleumdung an.

Dünne Beweislage

Vor dem Landgericht wird deutlich, dass die Beweislage recht dünn ist. Vonderheid kann vor Gericht nicht mit Fakten überzeugen, ein Polizist bleibt vage, ebenso die CDU-Fraktionschefin Elke Staubach, die E-Mails als Beweis vorlegt.

Der Richter Alexander Schuckert zweifelt an deren Relevanz: „Ich lese darin nur, dass der Angeklagte die Zeugen für glaubwürdig hält.“ Konkret unterstelle er aber niemandem Belästigung. So denkt selbst der Staatsanwalt darüber nach, diesen brisanten Komplex einzustellen. Was dann von den übrigen Vorwürfen bleibt und ob der 58-Jährige überhaupt schuldigfähig ist – das soll am nächsten Montag von 9 Uhr an geklärt werden.