Die beiden Gerlinger sollen einem 46 Jahre alten Mann verschreibungspflichtige Tabletten gestohlen haben. Das Opfer ist jedoch vor dem Prozess gestorben.

Leonberg - Wegen Raub und Körperverletzung standen zwei Brüder jüngst vor dem Leonberger Schöffengericht. Doch für die beiden 35 und 36 Jahre alten Gerlinger gab es am Ende einen Freispruch. Der Vorsitzende Richter zweifelte nach der Beweisaufnahme an der Schuldfähigkeit der Männer – zumal das drogenabhängige Opfer aus Leonberg nur wenige Tage vor der Verhandlung gestorben war.

 

Richter Armin Blattner machte nach der Urteilsverkündung klar, dass die Vernehmung des Geschädigten vor Gericht sicherlich aufgeklärt hätte, ob sich die Tat im Mai vor einem Jahr tatsächlich so zugetragen habe. Stattdessen musste er sich lediglich auf die beiden Aussagen des Mannes bei der Polizei berufen, die aber seiner Meinung nach Widersprüche aufwiesen. „Vieles spricht für die Tat, aber es bleiben Restzweifel“, befand er. „Und diese Zweifel gehen eben zu Gunsten der Angeklagten.“

Unbekannter Dritter: stereotypischer Italiener?

Bei der Polizei in Leonberg hatte der drogenabhängige Mann berichtet, dass ihn die Gerlinger gemeinsam mit einem dritten Unbekannten, den er als „stereotypischen Italiener“ mit zurückgegelten Haaren und Goldkettchen beschrieb, in der Neuköllner Straße auf dem Heimweg von der Apotheke überfielen, um sich seine Substitutionsmittel unter den Nagel zu reißen. Dazu habe das Trio den 46-Jährigen in den Stadtpark gezerrt, bevor die Brüder ihn an den Armen gepackt und der unbekannte Dritte auf ihn eingeschlagen habe.

Am Ende hätten sie ihm 100 Lyrica-Tabletten abgenommen, ein Medikament gegen epileptische Anfälle. Der Mann gab bei der Polizei auch an, dass die Täter versucht hätten, seinen Geldbeutel zu entwenden. Doch nachdem er ihnen mit einer Strafanzeige gedroht habe, hätten sie von ihrem Plan abgelassen. Bei der zweiten Vernehmung durch einen Kriminalbeamten vertauschte der Leonberger aber zum Teil die Rollen der Täter und wies auch die getätigten Drohgebärden anderen zu.

Obwohl er sich keinen persönlichen Eindruck von dem Geschädigten machen konnte, war der Oberstaatsanwalt indes von der Schuld der beiden Angeklagten überzeugt. „Dazu sind die Schilderungen des Mannes, die er auch mit wörtlicher Rede der Täter anreicherte, zu detailliert“, befand er und untermauerte die Glaubwürdigkeit des Leonbergers mit einem Erfahrungswert aus der Praxis: „Drogenabhängige lassen sich immer wieder etwas einfallen, um ein neues Rezept zu bekommen, aber dann machen sie – anders als hier – Unbekannte für den Verlust verantwortlich, um ein Risiko zu vermeiden.“

Er forderte für den 36-Jährigen eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Ein Jahr und vier Monate, ebenfalls ohne Bewährung, sah er als angemessenes Strafmaß für dessen Bruder. Die beiden Verteidiger plädierten derweil auf Freispruch. „Einmal kommt die Drohung von dem einen Täter, dann wieder von dem anderen – es gibt erhebliche Abweichungen in den beiden Vernehmungen des Anzeigeerstatters“, monierte der Anwalt des 36-Jährigen und sprach mit Blick auf den verstorbenen Geschädigten von einer „schwierigen strafprozessualen Situation“.

Die Angeklagten hatten die Tat ohnehin abgestritten und den Verdacht geäußert, dass der Leonberger nur einen Vorwand gesucht habe, um ein weiteres Rezept für die Substitutionsmittel zu bekommen. Denn ihnen zufolge hatte der 46-Jährige diese auch schon mal zum Verkauf angeboten. Die Männer kannten sich übrigens vom Arzt – auch sie hatten damals an einem Substitutionsprogramm teilgenommen, um ihre Drogensucht in den Griff zu bekommen. Eine Bekanntschaft mit dem „Italiener“ schlossen sie aber aus.

Beide Angeklagten stehen nicht zum ersten Mal vor Gericht

Die Gerlinger standen aber nicht zum ersten Mal vor Gericht. Der Ältere war früher mehrmals wegen Betrugs und Diebstahls verurteilt worden. Nachdem der gelernte Gebäudereiniger 2014 wegen gefährlicher Körperverletzung noch mit einer Bewährungsstrafe davongekommen war, wurde er für einen Einbruch in eine Obdachlosenunterkunft kurz nach der angeklagten Tat – bei dieser stand er übrigens unter Bewährung – zu einer Haftstrafe von elf Monaten verurteilt. Seitdem sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal ein. Der Auszug aus dem Bundeszentralregister seines ungelernten Bruders listete neben Bedrohung und Beleidigung auch gefährliche Körperverletzung und Drogenbesitz auf.