Ehrenamtliche des Netzwerks Gartenstadt helfen Flüchtlingskindern mit Lerndefiziten. Doch der Bedarf übersteigt ihre Kapazitäten. Weitere Helfer werden benötigt.

Leonberg - Was die beiden Strichlein über dem Buchstaben „A“ bei dessen Aussprache zur Folge haben, das weiß Marwa genau. Mustafa kommt beim Vorlesen zum Rückschluss, dass ein Elefant eindeutig zu dick sei für eine Fahrt mit dem Zug. Und Zohre, obwohl noch nicht lange in Deutschland, nimmt es mit Englischvokabeln auf. „Deutsch kann ich schon gut, aber Englisch ist schwer“, erklärt die Zehnjährige. Das ehrgeizige Mädchen aus Afghanistan lässt sich selbst in den Weihnachtsferien nicht bremsen.

 

Konzentriert stecken die Kinder mit der Nase in den Übungsheften. „Erst lernen, dann spielen“, gibt Sonja Njie von der Spiel- und Lerngruppe des Gartenstädter Netzwerks die Marschroute vor und erklärt: „Man muss ihnen das Ganze ein wenig schmackhaft machen.“ Gemeinsam mit einer Handvoll Ehrenamtlicher gibt sie an diesem Nachmittag Flüchtlingskindern mit Lerndefiziten Nachhilfe. „Wir helfen vor allem bei den Hausaufgaben“, sagt sie. Doch auch Lese- und Schreibübungen stünden in der Flüchtlingsunterkunft in der Rutesheimer Straße auf dem Programm.

Die zweistündige Nachhilfe laufe nicht problemlos ab. „Wir haben hier Kinder im unterschiedlichsten Alter“, erklärt sie. Und auch die Bereitschaft ihrer Schützlinge, mitzuarbeiten, sei nicht unbedingt groß. „Da kommen schon die wildesten Ausflüchte“, sagt sie lächelnd und lässt die Ausrede eines Mädchens, die ihren Rucksack in der Schule vergessen haben will, nicht gelten. Zwei Minuten später steht die Neunjährige mit Stift und Block an der Türschwelle. Los geht’s mit dem Pauken!

Motivation leidet unter der Unruhe

Man müsse die Flüchtlingskinder an die Hand nehmen, betont Ulla Lehmann-Keldenich, die sich ebenfalls im Netzwerk einbringt. „Ich denke, die Motivation der Kinder ist vor allem deshalb gering, weil es hier eine große Unruhe gibt“, erklärt die Frau. Denn die Situation mit den Räumlichkeiten in der Flüchtlingsunterkunft sei alles andere als optimal. „Ich glaube, wenn ich mit fünf anderen in einem Zimmer lernen müsste, dann wäre auch ich nicht sonderlich motiviert“, sagt sie.

Neben ihrem Engagement gibt sie auch Unterrichtsbegleitung in einer Vorbereitungsklasse an einer Schule. „Dort läuft die Sache ganz anders ab“, berichtet sie. Die Schuld bei den Eltern zu suchen, sei nicht angebracht, auch wenn vielen nicht klar sei, dass man hierzulande „ohne die Sprache und eine Ausbildung nichts werden kann“. „Man darf von Eltern, die selbst mit der deutschen Sprache zu kämpfen haben, nicht erwarten, dass sie ihren Kindern bei den Hausaufgaben über die Schulter schauen“, befindet die Ehrenamtliche.

Doch die Zahl der hilfsbedürftigen Kinder übersteigt die Kapazitäten der Gartenstädter Initiative. Deshalb sucht das Netzwerk händeringend nach weiteren Helfern. „Es wäre ideal, wenn wir für jedes Kind einen Paten hätten“, erklärt Sonja Njie. Damit wäre nämlich eine Einzelnachhilfe möglich, die dringend notwendig sei. „Wir bekommen von den Schulen immer wieder die Rückmeldung, dass die Kinder im Unterricht nicht mitkommen und Nachhilfe erhalten sollten“, erzählt sie. Viel mitbringen müsse man nicht. „Das Wichtigste ist, dass man Lust hat, mit Kindern zu arbeiten, und offen ist für Neues“, sagt Njie.

Lernangebot ist aus Spielgruppe hervorgegangen

Das Lernangebot der Flüchtlingsinitiative ist aus einer reinen Spielgruppe hervorgegangen, die die Ehrenamtlichen damals für Flüchtlingskinder in der Sporthalle des Schulzentrums ins Leben gerufen hatten. „Dort gab es noch keine Möglichkeit, mit den Kindern zu lernen“, berichtet Sonja Njie. Erst mit dem Umzug in die benachbarten Wohnheime im vergangenen Sommer sei das Angebot dann um die Nachhilfe erweitert worden, weil die Sprache bekanntlich auch der Schlüssel zu einer gelungenen Integration sei.

Das Potenzial bei den Kindern ist laut den Ehrenamtlichen groß. „Man merkt schon, dass sie zum Teil sehr begabt und clever sind“, berichtet Njie. Ein Mädchen sei ganz spitze in Mathematik. „Dann habe ich aber gemerkt, dass sie gar nicht lesen und schreiben kann, sie hat die Buchstaben gemalt“, erzählt die engagierte Frau. In ihrer Heimat habe sie mit dem lateinischen Schriftsystem schließlich nichts zu tun gehabt. „Hier musste sie wieder bei Null anfangen“, so Njie. Dank der Einzelnachhilfe sei sie aber auf einem guten Weg.