Petra Grobrügge ist Jugendgerichtshelferin. Seit mehr als 20 Jahren betreut sie junge Straftäter vor, während und nach Verhandlungen und ist da oft die wichtigste Bezugsperson.

Leonberg - Die Beweisaufnahme im Saal 2 des Leonberger Amtsgerichts ist abgeschlossen. Für den angeklagten Jugendlichen, der sich wegen Beleidigung sowie Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verantworten muss, sieht die Lage nicht gut aus.

 

Doch bevor der Richter ein Urteil fällt, ergreift Petra Grobrügge das Wort. Die Jugendgerichtshelferin beschreibt den holprigen Werdegang des jungen Mannes, der nicht zum ersten Mal auf der Anklagebank sitzt, seine schwere Kindheit, einige Schulwechsel und Drogenprobleme. Dem 21-Jährigen schreibt sie eine erhebliche Reifeverzögerung zu und spricht von einer „jugendtypischen Tat“. Inzwischen, habe er aber Drogen abgeschworen und eine Lehrstelle in Aussicht. Der Richter beherzigt ihren Rat und wendet das Jugendstrafrecht an. Der Delinquent wird zu einer Arbeitsauflage von 40 Stunden verurteilt.

Immer wenn ein jugendlicher Straftäter aus Leonberg vor Gericht steht, ist auch Petra Grobrügge zugegen. Denn bei Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz wirkt auch die dem Jugendamt unterstellte Jugendgerichtshilfe mit. Deren Aufgabe besteht einerseits darin, die Täter und ihre Familien vor und nach dem Prozess zu beraten. Bei der Verhandlung geht sie dann auf die Persönlichkeit, die Entwicklung sowie die Umwelt des Beschuldigten ein und macht Vorschläge zum Strafmaß. „Ich liefere ein Mosaiksteinchen zum Gesamtbild des Täters, um einen nicht juristischen Blick zu ermöglichen“, sagt die 50-Jährige.

Seit mehr als 20 Jahren nimmt sich die Sozialpädagogin jugendlicher Straftäter an. Vor dem Studium war sie in der Heimerziehung tätig. „Dass ich mit Jugendlichen arbeiten will, das war mir schon immer klar“, sagt die aus Niedersachsen stammende Frau, die seit 1993 in Leonberg arbeitet. Die Jugendgerichtshilfe im Landkreis Böblingen zählt sieben Mitarbeiter, die ihren Dienstsitz beim Landratsamt haben. In der Außenstelle Leonberg werden Sprechstunden angeboten.

Ihre Arbeit erachtet sie nicht als bloßes Verwalten von Akten. „Ich sehe meinen Beruf als meine Berufung“, sagt sie. Bei ihr gebe es kein Schema F. „Jeder hat seine eigene Geschichte und seine eigenen Gründe, warum er in die Situation hineingeraten ist“, betont sie. „Was die jungen Leute gemacht haben, ist schlecht. Aber nicht sie sind schlecht.“ Mitstreiter im Geiste findet sie in den Bediensteten des Leonberger Amtsgerichts. „Daumen rauf, Daumen runter – das wird dort nicht praktiziert“, sagt die 50-Jährige. „Viel mehr sucht man nach einer sinnvollen Lösung, um die Jugendlichen wieder auf den rechten Weg zu kriegen.“

Die jungen Menschen, die sie aufsuchen, sind alle zur Tatzeit zwischen 14 und 21 Jahre alt. Sieben von zehn sind Jungen. Die Palette der Delikte zieht sich durch das gesamte Strafgesetzbuch. „Bei kleineren Vergehen reicht ein erzieherisches Gespräch aus“, sagt sie. Wenn es aber zur Anklage kommt, beginnt die eigentliche Arbeit. „Wir besprechen den Lebenslauf und nehmen uns der Sachen an, die der Jugendliche auf die Reihe bekommen soll oder eben verbockt hat“, erklärt Grobrügge. Manch einem werde da erstmals richtig bewusst, welchen Lauf sein bisheriges Leben genommen hat, sagt die 50-Jährige.

Leonberg ist für sie noch immer ein sicheres Pflaster zum Leben – auch wenn die Anzahl der von ihr bearbeiteten Fälle – damit sind nicht die Straftäter gemeint – im vergangenen Jahr um 90 auf 268 anstieg. Ihrer Meinung nach sind die heutigen Jugendlichen auch nicht krimineller. „Es gibt einfach immer weniger Perspektiven für sie“, sagt sie. In der Stadt fehle es an Angeboten, besonders für die 16- bis 18-Jährigen, die im Stadtpark abhingen und auf blöde Ideen kämen. „Klassische Vereine interessieren sie nicht, unverbindliche Angebote müssen her“, fordert Grobrügge.

Für viele ihrer jungen „Klienten“ ist sie eine wichtige Bezugsperson. „Ich hatte mal einen Jungen mit 14 übernommen und ihn bis zum 21. Lebensjahr begleitet. Nach seiner Mutter pflegte ich die längste Beziehung zu ihm“, berichtet die Frau, die für ihre Schützlinge immer ein offenes Ohr hat. Statt leerer Versprechungen konfrontiere sie die Jugendlichen aber stets mit den schlimmst möglichen Folgen. „Und nachtragend bin ich gar nicht“, sagt sie schmunzelnd. „Letztlich gehört Mist bauen auch zum Erwachsenwerden dazu. Wichtig ist, dass man daraus lernt.“