Wo täglich Tausende Fahrzeuge über die Autobahn rollen, sind vor über 7000 Jahren die ersten Menschen sesshaft geworden. Jetzt suchen Archäologen am Westanschluss nach deren Überresten. Eine Spurensuche am Tag des offenen Denkmals.

Leonberg - Ein bisschen wie Indiana Jones sieht Christian Bollacher schon aus: brauner Hut, dunkelgrüne Jacke, beige-farbene Hose und ein paar Bartstoppeln. Doch anders als der Filmheld, der dem verlorenen Schatz hinterher jagt und dabei in allerlei gefährliche Situationen gerät, bezeichnet sich Bollacher eher als „Schreibtischtäter“. Leider, wie er sagt.

 

Er ist Gebietsreferent beim Landesamt für Denkmalpflege, unter anderem für den Kreis Böblingen, und damit auch wissenschaftlicher Verantwortlicher für die derzeitigen archäologischen Grabungen am Leonberger Westanschluss. Dort will die Stadt bekanntlich ein Gewerbegebiet erschließen. Doch bevor die Bagger anrollen, sind erst einmal die Archäologen dran. Denn im Boden verbergen sich kulturhistorische Schätze aus der Jungsteinzeit.

Am Sonntag, dem Tag des offenen Denkmals, drängen sich 40 Menschen dicht um Christian Bollacher und lauschen seinen Ausführungen. Er erklärt die Bedeutung von Bodendenkmalen wie dem Längenbühl, von denen es in Baden-Württemberg etwa 50 000 gibt, gibt einen Einblick in die Ausgrabungen und erläutert die Bedeutung.

Auf Reste der Jungsteinzeit stieß man erstmals beim Autobahnbau in den 1930er Jahren. Auch später wurde immer wieder Bruchstücke gefunden. Das Gebiet ist seit vielen Jahren als Bodendenkmal ausgewiesen. Im März hatte es bereits Probegrabungen gegeben. Dabei sind die Archäologen auf Überreste einer Siedlung gestoßen, die aus der Zeit von etwa 5500 bis 5000 Jahren vor Christus stammen.

Eine matschige Angelegenheit ist der Weg zum Ausgrabungsfeld, einem etwa 70 Meter langen Streifen. „Wir werden nur die beiden östlichen Hektar bearbeiten. Die frühen Siedler haben sich zielstrebig die guten Löss-Böden ausgesucht“, erklärt der wissenschaftliche Leiter. Etwa 20 Zentimer Deckschicht sind bereits abgetragen, darunter kommt der nackte Lehmboden zum Vorschein, der sogleich an den Schuhsohlen hängenbleibt.

Bollacher deutet auf rechteckige Gruben, die bereits ausgehoben sind, an deren Wänden sich dunklere Flecken abzeichnen. „Hier drin“, sagt er und weist auf eine Grube hin, „hat man üb er den Winter Getreide aufbewahrt, um es keimfähig zu halten.“ Andere Vertiefungen dienten dem Sammeln von Abfällen, gefunden wurden unter anderem Tierknochen und Keramikscherben. Vermutlich wurden die Gruben zuerst ausgehoben, um mit dem Lehm Häuser zu verputzen und Keramik herzustellen.

Letzteres gab der entsprechenden Epoche der Jungsteinzeit auch ihren Namen: Bandkeramik. Zum einen wurden die tönernen Gefäße mit Linien und Punktmustern verziert. Zum anderen wurden sie in den Häusern zum Schutz vor Nagern aufgehängt statt hingestellt. „Diese Menschen sind bei uns in der Region recht plötzlich aufgetaucht. Vorher lebten hier nur Wildbeuter. Das waren Nomaden, die in Gruppen herumzogen, jagten oder Beeren sammelten“, erklärt Christian Bollacher den Zuhörern.

Die Neuankömmlinge hingegen seien sesshaft gewesen und hätten sich sehr gut im Ackerbau und der Viehzucht ausgekannt. Vermutlich stammten sie aus dem Orient und sind über Südosteuropa in die Länder nördlich der Alpen gekommen. Von dort brachten sie untere anderem Ziegen und Schafe mit, aber auch Getreide, Erbsen oder Linsen. „Die schwäbische Linse ist also eigentlich ein Orient-Import“, scherzt der Archäologe. Genauso schnell, wie sie gekommen sind, sind die Jungsteinzeitmenschen wohl auch wieder aus dem Gebiet an der Glems verschwunden. „Die 30 bis 50 Meter langen Häuser, die sie gebaut haben, waren aus Holz. Aber selbst Eichenholz verrottet unter diesen Bedingungen nach 20 bis 30 Jahren“, erläutert Bollacher. Dann musste das Haus abgerissen werden.

Nach bisherigen Forschungen an anderen Fundstätten wurde Häuser zwei bis drei Mal neu errichtet, dann verschwanden die Siedlungen. „Es ist gut möglich, dass dann auch die Böden ausgelaugt waren. Und die Menschen damals hatten ja genügend Platz zum weiterziehen.“

Mit ihnen verschwand eine Kultur, die vermutlich noch kein Rad und auch kein Metall kannte, sondern die mit Steinwerkzeugen arbeitet. Aber auch eine Kultur, die schon große Fertigkeiten erworben hatte und deren Keramik qualitativ besser war als bei vielen nachfolgenden Epochen.

Bis Ende Mai werden die Archäologen im Längenbühl zu Gange sein. Dann sind auch die letzten Spuren der Jungsteinzeit verschwunden. Aber nicht verloren. Sie sind gesichert, werden analysiert und mit anderen Funden verglichen. Und mit etwas Glück kehren sie in ein paar Jahren nach Leonberg zurück, ins Stadtmuseum.