Der erste runde Geburtstag der Langen Kunstnacht, die 10. Auflage des Publikumsrenners, ist bei schönem, wenngleich kühlem Wetter auch um 2 Uhr nachts noch nicht wirklich zu Ende.

Leonberg -

 

Licht und Leidenschaft sind bei der Langen Kunstnacht immer im Spiel. Auch bei der 10. Auflage des Publikumsrenners. Heuer hat der sanfte Lichtriese Dundu das Publikum begeistert. Eine halbe Stunde vor Mitternacht lockt er Hunderte auf den illuminierten Marktplatz. Während ein Musiker seine westafrikanische Stegharfe erklingen lässt und sanfte Töne über den Platz tröpfeln, lässt Kulturamtsleiterin Christina Ossowski den Marktplatz erdunkeln. Der sanfte Riese erwacht, geweckt von einem kleinen Lichtwesen, und beginnt sein poetisches Spiel mit einem Lichtball.

Ausdauer und Atmosphäre spürt man allenthalben. Erstere braucht der Flaneur, selbst wenn er nur die Hälfte der 26 offiziellen Stationen – in Wahrheit sind wie immer „späte“ Künstlergäste auf den fahrenden Zug gesprungen – mit ein wenig Muße ansteuern will. Selbst um 2 Uhr nachts ist die Stadt nicht ausgestorben. Inge Philippin zieht zu der Zeit mit ihrem Mann und einem Gast im Schaufenster des Gitarrenstudios Alexander Nolte sitzend Bilanz. Das tun auch viele andere Gäste der „Lakuna“. Etwa Werner Holler, der gemütlich mit einem Bier vor dem „Domizil“ steht. „Die Vielfalt und die Qualität haben zugenommen“, findet er, ist begeistert von der poetischen Atmosphäre, die Dundu geschaffen hat, und hofft darauf, dass der Marktplatz dauerhaft belebter wird.

Nähe und Neuseeland. „Die Lakuna ist für viele attraktiver als die langen Kunstnächte in Stuttgart“, berichten die Künstlerinnen Sabine Rempp und Hannelore Schulz, die eines der Ateliers im Künstlerhaus haben, von der Resonanz ihrer Gäste. Die schätzten, dass man alle Stationen gut zu Fuß erreichen kann. Diesmal ist kein Pendelbus gefahren. „Die Schübe waren daher bei uns nicht so stark“, erzählt Galerie-Inhaber Guido Rettenmaier. Hier sind neben den meist großformatigen, expressiven Werken von Peter Feichter auch die bizarren, schlichten und fantasievollen Skulpturen dreier Künstler zu sehen sowie drei handsignierte Drucke von Hundertwasser, der in seinem Garten in Neuseeland begraben ist. Allein die fantasievoll-bunten Rahmen seiner Bilder lohnen einen Ausflug in die Galerie, die neuerdings von einem hölzernen Mike Tyson bewacht wird.

Gedränge und Gästebücher. Geschoben, gestoßen und gedrückt wird dank großer Gästeschar im Atelier von Hans Mendler. Hier ist kaum ein Durchkommen und schon gar nicht genug Abstand, um sich genussvoll die traumhaft verspielten, verwunschenen, mal zarten, mal kraftstrotzenden Bilder und Holzskulpturen anzuschauen. Nebenan, im Galerieverein, sieht es kaum anders aus. Immerhin kann man hier den müden Körper kurz auf ein Stühlchen setzen und dazu einen der skurrilen Kurzfilme von Jochen Kuhn genießen. Gar nicht aus dem Schmunzeln heraus kommen Sascha und Stefanie Zdrahal aus Renningen, die sich passenderweise vor dem Film „Immer müde“ köstlich amüsieren. „Man erkennt sich wieder“, sagen sie und sind bei ihrer ersten Langen Kunstnacht vom Angebot des Galerievereins „total überrascht und begeistert“. Lob, Preis und Ehr finden sich auch im Gästebuch. Brigitte Schallon wirbt unterdessen charmant und druckvoll um neue Mitglieder für den Galerieverein und versucht ihr Glück beim Ersten Bürgermeister Ulrich Vonderheid.

Einheimische und Exoten. Natürlich sind die Leonberger hier. Aber auch Friolzheimer und richtig Exotisches und Fernes ist da. Mal in Form von Kunst oder Natur, etwa wenn man sich die Surfbilder inmitten von eindrucksvollen australischen oder azorischen Wellengebirgen anschaut, die bei Schreiner Bartholomäus zu sehen sind. Mal aber auch in Form der „Mitbürger mit Migrationshintergrund“. Im Stadtmuseum, wo Matthias Eder seine herb-poetischen Bronzearbeiten zeigt, beugt sich ein italienisches Paar über Postkarten aus dem Jahr 1945. Aus Tadschikistan stammt Alisa Dzalaeva. Ihr haben es besonders die Aquarelle in Georg Steiblis Galerie angetan. „Die sind einfach schön und man muss nicht ewig nachdenken, was da zu sehen ist“, erklärt sie.

Kunst und Korsett. Dass auch Korsette zu Kunst werden können, sieht der Flaneur spätestens, wenn er Christine Rummels „Fundus“ im der Oberamteistraße gefunden hat. Die Textilkünstlerin schafft schon mal neun Monate an einer ihrer unglaublichen Roben. Nicht minder vielschichtig erscheinen die Frauengestalten, die Margrit Tiryaki in abblätternden kubanischen Hausfassaden gefunden und nachempfunden hat.

Unterhaltung im Überfluss gibt es auch musikalisch. Etwa dank B.B.Q, die im Spitalhof, wo die Gruppe K-maeLeon ausstellt, Piano und Kontrabass bearbeiten und Eigenkompositionen zu Gehör bringen. Oder im Atelier von Chris Gläser, wo Robert Krauss und Götz Zernikow die ornamentalen, orientalisch angehauchten Bilder Gläsers mit Blues überhauchen.

Natürlich bleibt nicht alles beim Alten, so bewährt die Melange bei der Lakuna auch sein mag. Neu in einem Atelier im Künstlerhaus ist Brigitte Guggenbiller, die hier vor ihren „feinen Damen mit eleganten Hüten“ stehend mit ein paar Gästen über den „Flow“ beim künstlerischen Arbeiten plaudert. Erstmals Kunststation ist das Haus der Begegnung, wo die Schau „Outsider Art“ die Kreativität von Kunstschaffenden mit Handicap vorstellt. Und die ehemalige Stadtapotheke, wo Kristina Schwarz die künstlerischen Aspekte der Themen Stadt, Verkehr und Mobilität zeigt.

Sport und Stille. Zwei Mädchen verschaffen sich Bewegung beim Tischtennisspiel vor dem Spitalhof. Andere suchen Stille in der Stadtkirche und planen mit Blick ins Programmheft und angesichts der hier gezeigten „Leonberger Tafeln“ von Gert Wiedmaier den Fortgang ihrer individuellen Kunstwanderung.

Tusche und Tiefgang. „Bang, bang“ heißt es bei Michael Schönpflug. Er hat sich mit dunklem Material auseinandergesetzt. Kohle und Tusche nutzt er, um die Ästhetik von Waffen zu untersuchen und die Ambivalenz, die Waffen für ihn haben. „Sie sind bedrohlich, können aber auch schützen“, erklärt er.

Natur und Noten. Zu den Klängen der Höfinger Musikschule „Musik-er-Leben“ zeigen im Foyer der Kreissparkasse die Mitglieder des Höfinger Kunstportals wieder ihre breite Palette an Kunstformen, darunter die Naturfotografien von Uwe Freund.

Aufbruch und Anfang. Von Anfang an bei der Langen Kunstnacht dabei sind die Künstlerinnen der Gruppe „Aufbruch“, die seit Jahren im Keller des Adler ihre zumeist abstrakten Arbeiten zeigen. Sabina Bleul etwa präsentiert ihre wunderbar zur Natursteinmauer passenden sanftfarbigen Arbeiten zum Thema „Zeit“, in die sie zum Teil Nähte oder Wachs eingearbeitet hat.

Champagner und Crêpes. Die Haute Cuisine dominiert nicht auf der Langen Kunstnacht. Aber Cracker, Chips und Crêpes sind wohlfeil zu haben und machen satt, während an vielen Stationen Wein und Schampus den aufkommenden Durst löschen.

Happening und Happy Hour. Beides gibt es, spontan, abhängig vom persönlichen Geschmack und oft umsonst. Ein zukünftiges Happening hat Michael Lange im Sinn, der vom vielen Erklären seines Riesenprojekts nachts um halb zwei bereits heiser ist. Zwölf riesige alte Baumstämme, die anlässlich des S-21-Bauwerks gefällt wurden, hat er an Land gezogen, will sie auf Eisenbahnschienen platzieren und mit ihnen den Golfplatz zieren.

Tarnung und Täuschung. Bestens getarnt sind stets die Arbeiten von Rose Fiedler, die bei Raumausstattung Haug ihre aus Eierschalen gefertigte Kunst zeigt. „Es ist einfach toll zu sehen, was sie aus diesem Naturmaterial schaffen kann und wie sie damit das Auge täuscht“, schwärmt die Flaneurin Bettina Reichert aus Leonberg, die sich die Lange Kunstnacht wie so viele andere Leonberger nur ungern entgehen lässt.