Im ASG streiten die Bundestagskandidaten nicht nur um offene Grenzen und die Rolle Europas.

Leonberg - Die Diskussion geht schon eine halbe Stunde rauf und runter, da reißt Florian Toncar der Geduldsfaden. „Wenn ich nichts sage“, so erregt sich der Bundestagskandidat der FDP, „so bedeutet das nicht, dass ich nichts zu sagen habe. Aber ich halte mich an die Spielregeln. Die Schüler sollen auch zu Wort kommen.“

 

Der Unmut des 37-Jährigen gilt dem AfD-Vertreter Miguel Klauß. Der Sprecher des Ortsverbandes Herrenberg nutzt eine Einladung zu einer Diskussion im Leonberger Albert-Schweitzer-Gymnasium (ASG) ausführlich, um seine Haltung in der Flüchtlingsfrage darzulegen. Die lautet im Kern, dass Europa, insbesondere Deutschland, die Grenzen dicht machen soll.

In Wahljahren gibt es ein politisches Frühstück

Traditionell lädt das ASG in Wahljahren die Wahlkreiskandidaten zu einem „Politischen Frühstück“ ein. Dabei haben die Schüler die Gelegenheit, mit den Politikern unmittelbar ins Gespräch zu kommen. Hernach gibt es eine Diskussion zu aktuellen Themen.

Über was gesprochen wird, das legen die Teilnehmer des Politikkurses fest. Im Jahr der Bundestagswahl sehen die Schüler besonders großen Informationsbedarf bei den Themen Flüchtlingen, der Weltpolitik mit dem kommenden US-Präsidenten Trump und dem umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP.

Diskutiert wurde im Vorfeld auch, wer eingeladen wird. „Wir haben uns auf alle Parteien verständigt, die im Landtag vertreten sind“, berichtet der Politiklehrer Andreas Specht. „Auch die AfD. Nach deren Wahlerfolgen muss man sich mit denen auseinandersetzen.“

Dabei ist Miguel Klauß der einzige, der nicht für den Bundestag kandidiert. Er vertritt den verhinderten Markus Frohnmaier. Seit acht Jahren im Parlament ist bereits Richard Pitterle von den Linken. Auch Florian Toncar kennt den Berliner Politikbetrieb von innen. Er war von 2005 bis 2013 im Bundestag, dann verfehlte die FDP die Fünf-Prozent-Hürde. Neu ins Parlament wollen der Christdemokrat Marc Biadacz, Tobias Bacherle von den Grünen und die Sozialdemokratin Jasmina Hostert. Letztere muss die Diskussion aus Termingründe verlassen, bevor sie richtig angefangen hat.

Großes Thema: Flüchtlingskrise

Natürlich: Das Flüchtlingsthema lässt die Emotionen hochgehen. Der Linke Pitterle wirft allen anderen vor, „für eine Politik des Krieges und der Rüstungsexporte“ zu stehen. „Die Debatte fängt mit einer Lüge an“, kontert der AfD-Mann Klauß „Wir lehnen Rüstungsexporte ab.“

Auch Biadacz reagiert sauer: „Wir lassen uns nicht als Kriegsparteien verunglimpfen.“ Der CDU-Bewerber, der den Abgeordneten Clemens Binninger beerben will, hält den Streit mit der CSU um eine Flüchtlingsobergrenze für lösbar: „Man muss streiten, um glücklich zu werden.“

Für Tobias Bacherle ist die Obergrenze eine „Scheindebatte“. Der Grüne fordert eine europäische Verteilung. „Doch selbst wenn die nicht kommt, können wir doch nicht einfach sagen: Dann eben nicht.“

Auch Florian Toncar sieht Europa in der Pflicht, zu helfen. Eine Kontrolle an den Außengrenzen hält der Liberale aber für nötig: „Wir müssen wissen, wer kommt. Das können wir nicht Erdogan überlassen.“

Den autokratischen Führungsstil des türkischen Staatschefs und die von ihm veranlassten Massenverhaftungen bewerten alle Politiker ähnlich: Keiner kann sich vorstellen, dass die Türkei unter Erdogan Mitglied der EU wird.

ASG-Schüler stellen spannende Fragen

Die ASG-Schüler sind wissbegierig: Ob die Wahl von Trump ein Indiz für den Qualitätsverlust der Politiker ist, will einer wissen. Das sehen die Herren nicht so, erwarten gleichwohl ein schwierigeres Verhältnis zwischen Europa und den USA.

„Brauchen wir noch Militär?“, fragt ein anderer Schüler. Angesichts der Expansionspolitik des russischen Präsidenten Putin hält Toncar die Nato weiter für nötig. Pitterle sagt, es wäre besser gewesen, Russland direkt nach dem Zerfall der Sowjetunion in ein europäisches Sicherheitssystem mit einzubinden.

Schwere Themen. Die beiden Moderatoren Julian Groshaupt und Tilman Saatzer merken, dass sie die wahlkämpfenden Politprofis enger an die Zügel nehmen müssen. Die beiden Schüler wachsen zusehends in ihre schwierige Moderatorenrolle hinein. Und bekommen denn auch ein Lob vom Schulleiter Klaus Nowotzin: „Denn so eine emotionale Diskussion hatten wir bisher hier noch nicht.“