Viele Flüchtlinge aus dem arabischen Raum kommen zum Alphabetisierungsunterricht. Die Teilnehmer lernen hier auch die hiesige Denkweise kennen. Vielen ist das System „Schule“ völlig unbekannt.

Leonberg - Es ist ein verregneter Nachmittag. Der Weg zum neuen Jugendhaus ist lange und ein wenig kompliziert, zumindest wenn man die Schilder nicht lesen kann. Und das können sie nicht, die Teilnehmer des Alphabetisierungskurses. Aufgewachsen mit Schriftzeichen, die für uns wie Gemälde erscheinen, ist es schwer, die lateinische Schrift zu erlernen.

 

Doch um dem abzuhelfen gibt es jetzt den Alphabetisierungskurs. Die Kursleiterin ist Fatma Kazan. Sie ist türkischstämmig und spricht ihre Muttersprache dazu Deutsch und Englisch. Die Lehrer kommen oft selbst nicht aus Deutschland. Das hat den Vorteil, dass sie die Mentalität kennen. Der Kurs hätte um acht Uhr anfangen sollen. Da war jedoch nur die Hälfte der 14 Teilnehmer anwesend. „Gerade in arabischen Ländern ist Pünktlichkeit unwichtig. Das Kind noch einmal zu versorgen, hat einfach oberste Priorität“, erklärt Barbara Forster. Sie ist für die Verwaltung im Verein für Deutsche Sprachvermittlung (VDV) zuständig. „Doch die Lehrer bekommen es im Laufe des Kurses gut hin, dass alle rechtzeitig ankommen“, ergänzt sie. „Sie lernen in dem Kurs nebenbei die Regeln und die Denkweise der Deutschen kennen.“

Nicht nur die Verständigung ist schwierig. Eine Teilnehmerin habe nicht verstanden, dass man sich für den Unterricht hinsetzt, schildert Karim Yaiser, Ingenieur und Vorsitzender des Trägervereins VDV. „Das System Schule war ihr völlig unbekannt“, erklärt er.

Das Kursangebot wird von unterschiedlichsten Menschen genutzt: Vom studierten Ingenieur bis hin zur Hausfrau, die kaum in ihrer Sprache lesen kann. „Das gilt für Syrer genauso wie für EU-Bürger“, meint Yaiser.

Im Raum haben sich mittlerweile 14 Teilnehmer versammelt, davon fünf Frauen. Das afghanische Ehepaar hat die Tochter mitgebracht, die für die beiden dolmetschen soll. Sie war sechs Monate in der Vorbereitungsklasse und kann schon sehr gut Deutsch. Sie erzählt, dass ihr Vater den Sprachkurs braucht, damit er eine Arbeit findet. Die Mutter ist noch nie zur Schule gegangen, kann aber ein wenig in ihrer Muttersprache lesen und schreiben. Die Familie unterhält sich auf Persisch. Sie sind sich einig: „Man muss Deutsch können.“ Die Mutter fügt hinzu: „Wir möchten schließlich in Deutschland bleiben.“

So sehen das auch zwei der verschleierten Frauen aus Syrien. Sie möchten Deutsch lernen, damit sie mitreden können, wenn sie zum Beispiel zum Einkaufen gehen. Beide sind Kriegsflüchtlinge, die eine ist mit ihrem Mann erst vor fünf Monaten nach Deutschland gekommen, die andere vor einem Jahr. Ihr Mann und der Sohn sind auch zum Kurs gekommen. Der Jugendliche ist ihr Dolmetscher.

„Kinder und Jugendliche lernen schneller neue Sprachen und können so ihre Familien unterstützen“, meint Erika Schmidt-Steiger. Sie ist die Integrationsbeauftragte Leonbergs und die Initiatorin des Kurses. Bisher gab es diesen nur in Mühlacker, Böblingen und Stuttgart. Doch da fangen die Schwierigkeiten an: Wer arabisch lesen kann, erkennt Gleis Nummer 2 nicht, und hat keine Ahnung wie Stuttgart als Schriftzug aussieht. „Je näher der Kursort ist, desto konstanter können die Stunden besucht werden“ , erklärt Undine Binder-Farr, die Pressesprecherin Leonbergs.

Jürgen Hartmann vom Arbeitskreis Asyl spricht von einer Frau, die wegen des Kurses nach Böblingen musste. Sie verpasste viel, da ihr Sohn im Krankenhaus lag. „Da bringen auch 600 Stunden nicht so viel“ , meint Hartman „Auch das System der Nacharbeit darf man nicht unterschätzen. Manche Teilnehmer müssen erst mal das Lernen lernen.“ Barbara Forster spricht die Schwierigkeit des Kurses an: „Wenn ich nach China gehe und mir jemand Ming-Mang-Mung mit Ming-Mang-Mung erklärt, ist das sehr hart.“

Mittlerweile ist es 9.30 Uhr und alle sind da. Resolut bittet Fatma Kazan die Dolmetscher nach draußen. Der Kurs beginnt.