Eine junge Frau kommt in ihrer vermüllten Wohnung nicht mehr zurecht. Nachbarn und Fremde helfen ihr, den Unrat wegzuschaffen. Dafür streiten sie jetzt mit der Stadt Leonberg, wer die Kosten für die Entsorgung übernimmt.

Leonberg - Zusammen werfen Silka Hartmann und Sven Stöckle einen großen schweren Müllsack in den Container. Zieht jemand aus? Wird ein Keller entrümpelt? Nein. Silka Hartmann zeigt Fotos. Neben einem Bett liegen Klamotten, gemischt mit leeren Lebensmittelverpackungen. Nur ein Streifen Fußboden ist zu erkennen. In der Küche quillt der Abfall aus den Schränken, das Waschbecken im Bad ist mehr braun als weiß.

 

Hinter diesem Berg Müll steckt ein trauriges Schicksal, welches die Helfer an diesem Tag zusammengeführt hat. „Meine Nachbarin hat sich mir in der vergangenen Woche anvertraut. ‚Ich glaube, ich bin ein Messie’, hat sie mir gesagt“, erzählt Heidemarie Kramer. Sie lässt sich von der jungen Frau, die eine Etage über ihr lebt, deren Wohnung zeigen. „Ich hatte die Vermutung schon länger, weil immer mal wieder dieser Gestank nach unten zog“, erzählt die Leonbergerin. Doch es sei wichtig gewesen, dass sich die junge Frau ihr von selbst anvertraut habe.

Sie und ihre beiden erwachsenen Töchter, aber auch die Schwester von Silka Hartmann, Sandra Löhn, kümmern sich um die junge Frau, die allein nicht mehr zurecht kommt. Sie bitten beim Sozialen Dienst der Stadt um Hilfe, bei ihrem Arbeitgeber, schließlich sorgen sie dafür, dass sie in der psychiatrischen Klinik in Hirsau aufgenommen wird. Dort erhält sie jetzt eine Therapie. Wenn die junge Frau wieder nach Hause kann, wird sie durch die Diakonie ambulant betreut. Dann soll in ihrer kleinen Wohnung nichts mehr an die Zustände zuvor erinnern. „Das erträgt sie sonst psychisch nicht“, meint Silka Hartmann. Auf Hilfe aus der Familie kann die junge Frau nicht hoffen. Sie habe nur noch ihren Vater, der sich aber nicht kümmere, erzählt Heidemarie Kramer, die jetzt eine Art Mutterrolle übernommen hat.

Für die junge Frau stellten die Helfer über eine Leonberg-Gruppe im sozialen Netzwerk Facebook eine Aufräumaktion am Dienstag auf die Beine, organisierten gespendete Möbel und Einrichtungsgegenstände, eröffneten sogar ein Spendenkonto. Auch wenn nicht jede Reaktion positiv ausfiel, erhielten sie viele Hilfsangebote. Entsorgen mussten die Helfer, von denen die meisten die junge Frau gar nicht persönlich kennen, fast alles, sogar die Kleidung. Nur einige wenige Möbel sind übrig. Auch Waschbecken und Toiletten müssen ausgetauscht werden. Hier will der Arbeitgeber der jungen Frau für Ersatz sorgen, der sie auch weiter unterstützen will. Weil sich in dem Dreck auch Ungeziefer breit gemacht hat, musste ein Kammerjäger ran. Zumindest habe der keinen Mäusedreck gefunden, berichtet Silka Hartmann. So bald alles aus der Wohnung geräumt ist, soll ein spezieller Luftreiniger die letzten Keime herausfiltern. Aber auch dann bleibt noch eine Menge für die Helfer zu tun. „Wir müssen noch eine Grundreinigung machen, alle übrigen Möbel abschrubben und dann noch streichen“, zählt Samantha Porsche Mafham auf.

Vom Sozialen Dienst der Stadt fühlen sich die Helfer dagegen im Stich gelassen. „Es waren zwei Leute da, die sich die Wohnung angesehen haben. Sie haben gesagt, meine Nachbarin könnte dort noch weiter drin leben. Man hat angeboten, dass ein Mitarbeiter vorbeikommt, der ihr dabei hilft, den Müll auszusortieren“, berichtet Heidemarie Kramer. „Aber da drin kann man doch nicht leben“, empört sich die Leonbergerin. Ihre Tochter habe die junge Frau beim Gang zum Amt begleitet. Dort habe man ihr mitgeteilt, dass die Stadt einen Kammerjäger schickt und bezahlt, was auch passiert ist. Außerdem sollte ein Container für den Müll bestellt werden. Allerdings hätte dies wohl noch einige Zeit gedauert. „Das muss man aber jetzt schnell erledigen“, meint Silka Hartmann, die schließlich den Container auf eigene Rechnung bestellte. Nach ihrer Aussage will sich die Stadt deshalb aber nicht mehr an den Kosten beteiligen. Bei der Stadtverwaltung will man zu dem Einzelfall keine Auskunft geben. Der Leiter des Sozialen Dienstes, Jürgen Rein, schildert jedoch das generelle Vorgehen. „Die Stadt sorgt für die Hilfe, die gebraucht wird“, erklärt er. Im Fall einer vermüllten Wohnung bestehe jedoch oft ein großer Unterschied, was Familie oder Nachbarn darunter verstehen und was vom Amt als solches erfasst wird. „Eine gefährliche Verwahrlosung besteht nur dann, wenn die Wohnung ‚lebendig’ wird, sich also Schimmel und Insekten oder sogar Mäuse breit machen“, sagt Rein. Dann werde das Ordnungsamt eingeschaltet und der Bewohner vorübergehend in einer Notunterkunft untergebracht. So ein Fall sei in den vergangenen Jahren nur einmal in Leonberg aufgetreten.

Leichtere „Messie“-Fälle gebe es dagegen drei bis vier Mal im Jahr. „Manche horten Geräte, andere Klamotten. Aber davon wird man nicht krank“, erklärt der Leiter des Sozialen Dienstes. In jedem Falle werde ein Antrag auf Hilfe beim Landkreis gestellt, der einkommensunabhängig ist. Dann treten die Sozialpädagogen des Vereins Fortis auf den Plan, die etwa mit den Betroffenen deren „Habseligkeiten“ aussortieren. „Das ist eine sogenannte Stärkung im Alltagsleben, keine Therapie. Aber auch das geht nur gemeinsam mit den Betroffenen, nicht gegen deren Willen“, sagt Jürgen Rein. Bis alles in die Wege geleitet sei, dauere es vom ersten Gespräch an zwischen drei und vier Wochen. Wenn in der Zwischenzeit Freunde oder Verwandte Hilfe organisierten, sei das jedoch schwieriger zu regeln.