Der 29-jährige Geisteswissenschaftler Sven Reisch (Grüne) hat bislang nur kommunalpolitische Erfahrung gesammelt – dabei aber innerhalb von vier Jahren einen guten Eindruck hinterlassen. Im Wahlkampf setzt er auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit.

Sindelfingen - Wer Sven Reisch ganz privat treffen will, der hat abends am Ortsausgang von Dagersheim gute Chancen: Nach einem langen Wahlkampftag packt der 29-jährige Böblinger gern sein Rad, fährt aus der Stadt hinaus und entspannt beim Gießen im Selbsterntegarten. Es ist seine erste praktische Erfahrung mit biologischem Anbau – seine Begeisterung fürs Kochen hat ihn veranlasst, dieses Experiment zu wagen. Nun kämpft er auf dem Acker mit unerwarteten Widersachern wie Kohlfliegen und Erdflöhen – die sind wenigstens eine ganze Nummer kleiner als seine politischen Gegner.

 

Gefragt, welche drei Gegenstände ihn am besten charakterisieren, fiel ihm die Wahl nicht schwer: ein Trommelschlegel, ein Kochlöffel – beides steht fürs Entspannen nach getaner Arbeit – und das Buch „Thomas Morus’ Utopia und das Genre der Utopie in der Politischen Philosophie“. Ein Beitrag in diesem 2010 erschienenen Tagungsband krönte Reischs wissenschaftliche Laufbahn. Dieses Buch, sagt Reisch, stehe nicht nur symbolisch für seine Studienzeit am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), sondern überhaupt für die intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Texten.

Auf Bundesebene hat er keine Erfahrung

Doch anders als früher hat er für Utopien in seinem Alltag im Augenblick wenig Zeit. Sein erster Bundestagswahlkampf fordert ihn ganz und gar. Und den geht Sven Reisch so ähnlich an wie den Gemüseanbau. Völlig unbefangen und sehr gelassen. Dass der gebürtige Tübinger kaum Erfahrung auf bundespolitischer Ebene mitbringt, empfindet er nicht als Nachteil. Eher im Gegenteil. Schließlich sei er schon immer ganz nah am Wähler gewesen, sagt er. Die Kommunalpolitik hätte ihn das politische Handwerkszeug gelehrt, sagt der 29-Jährige. Er leitet die grüne Gemeinderatsfraktion in Böblingen und ist seit zwei Jahren auch Sprecher des Kreisverbandes. Die Spielregeln für die politische Arbeit in Berlin, glaubt Reisch, unterscheiden sich nicht allzu sehr von dem, was er kennt.

Das mag naiv klingen, ist aber Ausdruck eines natürlichen Selbstbewusstseins. Reisch analysiert sehr genau das politische Geschehen in der Republik. Auf kommunalpolitischer Ebene, sagt Reisch, spiele sich der größte Umdenkprozess ab, wie die Demokratiebewegungen zeigten. Daran lasse sich ablesen, wie sehr die Menschen sich eine andere Politik wünschten.

Er hat auch schon eine Antwort darauf: Man müsse sich bei politischen Entscheidungen wieder an eine Regel halten, die es längst gebe – die aber zu einem bloßen Lippenbekenntnis geworden ist: das Subsidiaritätsprinzip. Es besagt, dass Entscheidungen im politischen System so weit unten wie möglich getroffen werden sollten – oder mit anderen Worten, so nah am Bürger wie möglich. „Diese Maxime“, sagt Sven Reisch, „halte ich für extrem wichtig.“

Nur auf Listenplatz 24

Seine Wahlkampfthemen ergeben sich nicht zuletzt aus seinen Leidenschaften. Er plädiert für klimagerechtes Essen, das aus regionaler Produktion stammt und ohne Gentechnik erzeugt wurde. Zum Auftakt des Wahlkampfes trat er deshalb bei einem Klimadinner gegen einen Profikoch und eine Hobbyköchin an – und heimste gleich Kritik ein, weil seine Linsen nicht aus der Region stammten. Die heimische Landwirtschaft zu unterstützen, liegt ihm aber am Herzen. Er setzt in dieser Hinsicht vor allem auf den Lokalpatriotismus der Wähler. „Der Landkreis Böblingen ist schon ganz gut darin, seine regionalen Produkte zu vermarkten“, sagt er. Dennoch wünscht er sich, dass noch weitaus mehr regionale Produkte als bisher in Supermärkten erhältlich sind – vor allem Zusatzprodukte wie der Streuobst-Balsamico.

Dass die Chancen für ein Mandat nicht besonders gut stehen, weiß der 29-Jährige, der zurzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Parteigenossen Bernd Murschel arbeitet – sein Landeslistenplatz 24 war eine herbe Enttäuschung. Dennoch kämpft er mit vollem Einsatz und Murschels Hilfe. Für die Wochen nach der Wahl hat er sich bislang nur eines vorgenommen – mit Freunden endlich den Mont Ventoux in Südfrankreich zu besteigen. Der Blick von diesem Gipfel wird nach der Wahl manches wieder zurecht rücken – Kohlfliegen und politische Unwägbarkeiten sind dort oben ganz weit weg.

Jugend
Sven Reisch ist 1984 in Tübingen geboren, aber in Böblingen aufgewachsen. hier hat er auch 2003 am Albert-Einstein-Gymnasium sein Abitur gemacht. Anschließend leistete er in Tübingen als Betreuer einer schwerbehinderten Frau Zivildienst. Dann studierte er in Karlsruhe und Frankfurt. Sein Onkel Jochen ist Stadtrat für die SPD.

Initialzündung
Die Schließung des selbst verwalteten Jugendtreffs Club Forum im Jahr 2008 gab Reisch während seines Studiums in Karlsruhe den Anstoß, sich in der Heimatstadt politisch zu engagieren – zunächst außerhalb der kommunalpolitischen Gremien. Die Kandidatur bei der Kommunalwahl hat sich aus diesem Engagement ergeben.

Gemeinderat
Seit 2009 ist Reisch Mitglied der Grünen, für die er seither auch im Gemeinderat sitzt. In dieser Funktion ist er Mitglied des Kultur- und Verwaltungsausschusses und des Ältestenrates. Außerdem sitzt er in der Verbandsversammlung des Zweckverbandes Flugfeld und im Gemeinsamen Gremium der Städte Sindelfingen und Böblingen, das zurzeit wieder verstärkt ins Licht der Öffentlichkeit rückt. Vor zwei Jahren hat er den Vorsitz der Gemeinderatsfraktion übernommen und ist Sprecher des Kreisverbandes geworden.

Vier Fragen – vier Tweets

Was tun Sie, damit der A-81-Ausbau und der Deckel so schnell wie möglich kommen? Hab als Stadtrat verhindert, dass die CDU-OBs den Deckelkompromiss kippen. Ohne Deckel kein A 81-Ausbau! Alle müssen ihre Zusagen einhalten.

Der Kreis ist ein starker Wirtschaftsstandort – was unternehmen Sie, dass es so bleibt? Handwerk und Mittelstand stärken. Innovationen in Energie, Ressourceneffizienz und Mobilität fördern. Zukunftstechnologien machen den Kreis stark.

Was tun Sie für die Kliniken, damit diese eine Zukunft haben? Häuser müssen in öffentlicher Hand bleiben. Neue Strukturen sind richtig. Kliniken haben nur eine Zukunft, wenn die Personalsituation besser wird.

Welche Möglichkeiten gibt es , den Schießlärm in der Panzerkaserne zu begrenzen? Die Army muss sich an Lärmschutzbestimmungen halten. Ich unterstütze den öffentlichen Druck und halte auch den Klageweg für möglich.