Es ist so windig auf dem Leonberger Wochenmarkt, dass die SPD-Windräder in der Hand von Christa Weiß sich sehr schnell drehen. Der linke Bundestagsabgeordnete Richard Pitterle hat sich eine wetterfeste Jacke an. Willkommen im Wahlkampf in der Altstadt.

Leonberg - Es ist so windig auf dem Leonberger Wochenmarkt, dass die SPD-Windräder in der Hand von Christa Weiß sich sehr schnell drehen. Der linke Bundestagsabgeordnete Richard Pitterle hat sich eine wetterfeste, schwarze Jacke angezogen, und trotzt damit am besten dem leichten Nieselregen, der rasch einsetzt. Die FDP ist erst gar nicht gekommen, und der Grünen-Kandidat Sven Reisch lässt sich vom SALZ-Stadtrat Frank Albrecht interviewen, während nebenan Wurst und Karotten gehandelt werden. Willkommen im Wahlkampf in der Altstadt.

 

Ein wenig enttäuscht ist Richard Pitterle schon. Nicht wegen des Zuspruchs der Marktbesucher, der ist relativ freundlich. Sondern weil Gregor Gysi abgesagt hat. „Eigentlich sollte er am Samstag der Höhepunkt meines Wahlkampfes werden“, meint der 54-Jährige. Doch nun ist eine Gedenkfeier für den früheren Parteichef Lothar Bisky angesetzt, bei der Gysi reden muss. Trotzdem, Richard Pitterle steht unverdrossen am Linken-Stand vor dem Alten Rathaus. „Guten Morgen, ich bin der linke Bundestagskandidat“, grüßt er.

Am Morgen war er schon um 5.30 Uhr vor dem Daimler-Werkstor in Sindelfingen. „Das war saukalt“, sagt er schmunzelnd. Aber alle 500 Brezeln sind weggegangen. Die Zeiten, in denen die Partei noch PDS hieß und Pitterle auf Marktplätzen beschimpft wurde, sind lange vorbei. „Sie sehen in echt besser aus als auf dem Prospekt“, sagt eine ältere Dame. Pitterle schmunzelt, das hätten ihm schon viele gesagt. Eine andere Frau meint: „Sie sehen aus wie mein Schornsteinfeger.“ Man plauscht, kommt auf die Bundespolitik. „Ja, der Gysi kann gut reden“, meint ein Herr.

Mit einer gewissen Freude verfolgt die Leonberger Linken-Chefin Gisela Stein die Diskussion. Gut 20 bis 30 Mitglieder hat die Ortsgruppe der Linkspartei. „Die Stimmung ist so gut wie nie“, sagt sie und strahlt, „viele sagen, sie würden uns das erste Mal wählen.“ Dass genau an dem Tag eine Umfrage die Linken vor den Grünen sieht, beflügelt sie natürlich. Dann verteilt sie Taschentücher mit der Aufschrift: „Für rote Nasen. Die Linke.“ Was gut ankommt.

Auch die Konkurrenz aus dem linken Lager ist da, während der FDP-Stand wohl wegen schlechten Wetters ausgefallen ist. Joachim Rücker, Diplomat und ehemaliger OB von Sindelfingen, stellt sich der Basis. „Die Stimmung ist gut, es tun sich interessante Dinge“, meint er. Die Wahlabsprache von SPD und Grünen in Stuttgart hat er interessiert verfolgt. Dort gibt es Empfehlungen, die Erststimme dem aussichtsreicheren Kandidaten zu geben. Ist das für den Wahlkreis Böblingen auch denkbar? „Man ist im Gespräch“, meint Rücker nur.

Dann schellt sein Handy, der Klingelton ist der Halleluja-Choral von Händel. Das Wahlkampfbüro muss Termine klären. Am SPD-Stand gibt es rote Bade-Entchen, Renate Stauss und Yusuf Shoaib verteilen den Prospekt von Joachim Rücker, ganz in blau gehalten. Und ohne Parteilogo. „Das war eine bewusste Entscheidung, die von den Ortsvereinen mitgetragen wurde“, sagt der Kandidat selbst. Schließlich führt er eine Erststimmenkampagne und hofft, doch noch den Platzhirsch Clemens Binninger schlagen zu können. Dafür tingelt er durch den Kreis, macht Hausbesuche und bereichert den Wahlkampf durch ungewöhnliche Termine. Etwa zum Thema kroatischer EU-Beitritt oder durch die Diskussion mit einem Vertreter der Piratenpartei.

Das Kanzlerduell hat die Genossen beflügelt, trotz regnerischen Wetters will man bis zum Wahltag an allen Markttagen stehen. Zuvor hat es schon in Höfingen einen Stand gegeben.

Die Kulisse an diesem Vormittag vervollständigt der umtriebige Stadtrat Frank Albrecht, der mit seinem Internet-Fernsehsender SALZ-TV die Kandidaten interviewt. Der Grünen-Kandidat Sven Reisch kommt in ebenso schwarzer Jacke. Joachim Rücker begrüßt den 29-Jährigen freundlich, man kennt und duzt sich. So gut haben sich Rote und Grüne lange nicht mehr verstanden. Ob mit oder ohne Wahlempfehlung, mancher Grüne wird die Erststimme vielleicht abtreten.

Für Sven Reisch selbst ist der Wahlkampf eine spannende Erfahrung, wie er bekennt. „Das ist ja Neuland für mich“, erklärt der Böblinger, obwohl er schon viele Wahlkämpfe als Helfer bestritten hat. Es beginnt unangenehm zu regnen, die Parteiaktivisten ziehen sich unter das Vordach eines Metzgerstandes zurück. „Die meisten Wahlkämpfe in Baden-Württemberg sind zum Glück im Sommer“, sagt Sven Reisch schmunzelnd. Die Passanten sind nun noch schneller unterwegs, ohne Schirm.

Aber das macht nichts. Frank Albrecht baut seine Technik auf, Kameras und Mikrofone trotzen der Nässe. „Das ist ein Hobby von mir“, sagt der Selbstständige. Dann sitzen die Kandidaten, die SPD leiht freundlich den Schirm aus, der Stand ist ohnehin abgebaut. Die drei linken Kandidaten vereint unter Schirmen, ein skurriles Bild. Immerhin ein Farbtupfer in diesem Wahlkampf, der bislang so trist ist wie das Wetter an diesem Vormittag.