Der alleinerziehende Vater Jörg Müller zeigt seiner Tochter Svenja die Welt. Doch nicht die ganze Welt, denn die Achtjährige kann wegen einer Hirnfehlbildung nicht verreisen. Dafür hat sich der Papa aber etwas Besonderes ausgedacht.

Leonberg - Svenja ist erst acht, doch sie war schon auf der ganzen Welt. Nicht in Person. Dafür ging ein Bild von ihr um den Globus. Denn Svenja wurde mit einer komplexen Hirnfehlbildung geboren und kann selbst nicht verreisen. Doch damit wollte sich ihr Papa Jörg Müller nicht abfinden. Der Leonberger hatte die Idee zum „Freundschaftsbuch auf Reisen“.

 

Es war im Sommer 2015, Müller erinnert sich: „Nach einer Reise mit einem Kumpel an die Ostsee wurde mir so richtig bewusst, dass Svenja noch nie das Meer und die Berge gesehen hat“, erzählt er. Der Leonberger schickte daraufhin ein Buch ab, in der Folge entschied der Empfänger, an wen und wohin dieses als nächstes geht. „Jeder Adressat hinterlässt eine Notiz, einen Spruch oder ein Bild aus seiner Umgebung“, erklärt Müller. „Damit können sie Svenja ein bisschen von der Welt zeigen.“

Von Sydney bis Peking

In den sozialen Medien stieß seine Idee auf riesige Resonanz. „Hunderte Menschen meldeten sich bei mir und wollten teilnehmen“, erzählt er und schüttelt ungläubig den Kopf. Das Freundschaftsbuch ging um die Welt – Sydney, Los Angeles, Peking, Ottawa. Weil das Buch aber nur eine begrenzte Anzahl von Seiten hat, musste Müller das Konzept inzwischen ein wenig ändern.

Das Freundschaftsbuch ist zwar noch immer unterwegs. Aber jetzt geht auch noch ein Bild von Svenja auf Reisen. Jeder, der mitmachen möchte, kann sich eine Porträtzeichnung von ihr im Internet herunterladen, diese ausdrucken, ausschneiden, in den Urlaub mitnehmen und ein Foto damit machen. „Mehr als 250 Bilder haben wir bislang erhalten“, sagt Jörg Müller. „Svenja schaut sich jedes einzelne mit Begeisterung an!“ Man sieht sie auf dem Gipfel des Gmundnerbergs in Österreich, auf Tauchstation im Mittelmeer oder am Strand von Norderney. Mit seiner Idee kam der Leonberger sogar in die Sat.1-Sendung „Menschen des Jahres“.

„Svenja ist ein aufgewecktes Kind“

Jörg Müller zieht Svenja seit ihrem dritten Lebensjahr alleine groß. Aufgrund der Hirnfehlbildung ist das Mädchen in seiner Entwicklung verzögert. Für Papa Jörg ist sie dennoch ein Phänomen. „Svenja ist ein unglaublich fröhliches und aufgewecktes Kind“, sagt er über die Kleine, die Züge am liebsten hat. „Wir mussten neulich extra nach Stuttgart, um mit der Stadtbahn zu fahren!“ Als er die Diagnose bekommen habe, sei er vor einem Scherbenhaufen gestanden, gesteht er. „Man ist zunächst von seinen Emotionen überwältigt und fragt sich nach dem Warum.“ In Gesprächen mit Betroffenen habe er aber eine Therapie gefunden und die negativen Gefühle seien verschwunden. „Dann erkennt man das kleine Wunder, dass ein Kind heranwächst“, sagt er und betont: „Es bleibt immer dein Kind, und es ist ein wundervolles Geschöpf!“

Als der 36-Jährige nach Absprache mit Svenjas Mutter die Kleine zu sich nahm, fragte er sich anfangs selbst, ob er der ganzen Sache gerecht werden könne. „Ich wollte aber nicht die Mutterrolle übernehmen“, sagt er. Die Dinge zu handhaben wie es eine Mutter tut, ist ihm zufolge auf kurz oder lang zum Scheitern verurteilt. „Deshalb erziehe ich meine Tochter wie ein Mann!“

Aufregende Papa-Tage

Das bedeutet: Action, Action, Action! Wenn er mit Svenja unterwegs ist, dann waten die beiden durch Bäche, sie duellieren sich im Stockkampf oder flitzen mit Bobby-Cars den Hügel hinunter. Unternehmungen wie diese nennt der Leonberger „Papas Weg“. „Papas sind eben anders, und die Kiddies lieben es“, da ist er sich sicher.

Natürlich war der Anfang alles andere als einfach. „Man muss sich um Tausend Dinge kümmern und bekommt mal hier, mal dort einen Brocken hingeschmissen.“ Große Unterstützung erfuhr er aber durch das Jugendamt. Heute übernimmt der Verein Lebenshilfe mehrmals in der Woche die Nachmittagsbetreuung und springt auch am Wochenende oder in den Ferien ein, damit der Papa eine Auszeit bekommt.

Rückendeckung gab es auch vom Arbeitgeber. „Was ich in der Arbeit nicht schaffe, hole ich einfach abends zu Hause am Laptop nach“, erzählt der Speditionskaufmann. „Ohne die Zusage von meinem Chef wüsste ich echt nicht, wie ich das alles machen soll!“ Zwar übernehme die Krankenkasse einen Teil der Kosten für die Lebenshilfe. „Aber man muss trotzdem die Eigenbeteiligung tragen“, erklärt der 36-Jährige.

Svenjas Zustand ist mittlerweile stabil, sie besucht die zweite Klasse der Karl-Georg-Haldenwang-Schule. Doch die Hirnfehlbildung wird nie komplett ausgeheilt sein. „Die epileptischen Anfälle sind jedenfalls zurückgegangen, den letzten hatte sie vor einem Jahr“, sagt Jörg Müller. Den Auslöser dafür kenne man übrigens bis heute nicht. „Früher war es richtig heftig, da hatte sie schon mal bis zu 25 am Tag“, erinnert er sich und sagt: „Bei der Geburt war es nicht einmal klar, ob sie später laufen und sprechen kann.“

Doch seine Svenja habe einen unbändigen Willen. „Und der führt sie dahin, wo sie auch hin will“, sagt ihr Papa sichtlich stolz.

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