Die Rutesheimerin Gail McCutcheon-Seibold wollte als Spendenläuferin am New York Marathon teilnehmen. Mit der Absage des Massenspektakels ist ein Traum geplatzt. Ihre 42 Kilometer hat die Hobbysportlerin trotzdem absolviert.

Rutesheim - Wirklich ansprechbar ist Gail McCutcheon-Seibold erst wieder am Mittwoch gewesen. Schlafen, nur noch schlafen. Etwas anderes wollte sie nicht, nachdem sie per Nachtflug aus New York zurückgekehrt war. Von einem fünftägigen Trip, der es in sich hatte – mit allen Höhen und Tiefen, die man sich nur vorstellen kann.

 

Ihr großer Traum ist geplatzt. Dabei war sie schon so nahe dran. Doch am Freitag, als sich die gebürtige Engländerin mit ihrem Mann Frank Seibold gerade für die Oper fertig machen wollte, kam die Absage. Aus und vorbei. Der New York Marathon findet wegen der Folgen des Hurrikans Sandy nicht statt.

Rund 20 000 Teilnehmer aus aller Welt, so lauteten die Schätzungen, waren bereits in der Stadt. Die Kritik fiel entsprechend groß aus, dass Michael Bloomberg diese Entscheidung nicht schon drei Tage vorher gefällt hat. Der New Yorker Bürgermeister begründete die Absage damit, dass der Lauf zur Quelle von Meinungsverschiedenheiten geworden sei. So etwas könne man nach Sandy nicht gebrauchen. Viele Hobbyläufer wollten wissen, ob ihnen die bis zu 380 Dollar teure Anmeldegebühr erstattet wird. Der Veranstalter New York Road Runners zeigte sich bislang nicht kompromissbereit. Es droht eine gerichtliche Auseinandersetzung.

Gail McCutcheon-Seibold, die im Jahr 2000 nach Deutschland übergesiedelt ist, zunächst sieben Jahre in Leonberg wohnte und dann nach Rutesheim umzog, hatte nicht das Gefühl, dass der Wettbewerb auf große Ablehnung gestoßen wäre. Zumal in weiten Teilen der Stadt alles seinen gewohnten Gang zu gehen schien. „Rings um unser Hotel in der Upper Westside waren die Straßen und die Restaurants voll, es gab überall Strom. Alles ist normal weiter gelaufen, die Leute waren beim Baseball oder beim Basketball.“ Im Süden Manhattans konnte die 36-Jährige erahnen, was sich wenige Tage zuvor zugetragen hatte. Wasser stand zwar keines mehr in den Straßen, aber sämtliche Rollläden waren geschlossen, die Wasserlinie an den Hauswänden befand sich in etwa einem Meter Höhe.

Ein Jahr lang hatte sich Gail McCutcheon-Seibold auf das Großereignis vorbereitet. Nachdem sie zuvor ein bis zweimal pro Woche unterwegs gewesen ist, steigerte sie ihre Laufeinheiten auf viermal wöchentlich. Seit Ostern belief sich das Pensum auf rund 40 Kilometer. Schließlich hielt sie sich an einen auf 24 Wochen ausgelegten Trainingsplan, der sie zu einer Zeit unter vier Stunden bringen sollte.

Für die Mutter zweier Kinder ist das Laufen mehr als sportlicher Selbstzweck. „Ich kann meinen gesunden Körper einsetzen für diejenigen, die das nicht haben.“ Ihr inzwischen sechs Jahre alter Sohn ist mit einem komplexen Herzfehler auf die Welt gekommen. Während seiner ersten drei Lebensjahre musste er drei schwere Operationen über sich ergehen lassen. In einer Nachsorgeklinik in Villingen-Schwenningen fand die Familie Raum und Zeit, um den körperlichen und seelischen Stress einigermaßen zu verarbeiten. Gail McCutcheon-Seibold wollte etwas zurückgeben und anderen in ähnlicher Lage helfen. In England sei es gang und gäbe, dass Marathonläufer Spenden sammeln würden. Also versuchte es die Neu-Rutesheimerin auch zunächst in ihrem Geburtsland mit einem Mail-Aufruf. Es kamen 2500 Pfund zusammen, die sie der British Heart Foundation zukommen ließ. In Deutschland organisierte sie Kuchenverkauf, bot selbst genähte Taschen zum Verkauf an, lief bereits einen Halbmarathon mit Spendenaufruf in Karlsruhe. Sie brachte so insgesamt 9000 Euro zusammen, die für die Nachsorgeklinik Tannheim in Villingen gedacht sind. Das Motto ihrer Aktion: Mein Herz lacht, wenn ich laufe. Das hatte ihr Sohn kurz nach der dritten Herzoperation gesagt.

Einen Marathon in New York gelaufen ist Gail McCutcheon-Seibold wider Erwarten doch noch. Auf der Rückfahrt im Bus gab es sogar die offizielle Teilnehmer-Medaille. Unter dem Titel „Run anyway NYC Marathon“ trafen sich am eigentlichen Veranstaltungstag tausende (die Schätzungen liegen zwischen 2000 und 10 000) Laufenthusiasten im Central Park. Auch die 36-Jährige fand sich zusammen mit ihrem Mann dort ein. Vorgesehen war ein Zehn-Kilometer-Lauf. Aus einer Runde wurden schließlich vier. Frank Seibold kehrte zwischenzeitlich ins Hotel zurück, um Wasser und Power Gel zu organisieren, denn er war mit seiner Frau völlig unvorbereitet zum Treffpunkt gekommen. Für 42,4 Kilometer benötigte Gail McCutcheon-Seibold 4:14 Stunden, inklusive Foto- und Wasserpausen. „Ich bin sowas von locker gelaufen, obwohl in an dem Tag noch nicht einmal gefrühstückt habe. Mein Traum ist zwar geplatzt, aber der Kompromiss war trotzdem sehr schön “, sagt die Engländerin. Der nächste New York City Marathon kommt bestimmt.