Mit Spenden und Beiträgen werden in der Sozialstation 30 000 Stunden für Pflege finanziert. Damit werden Menschen unterstützt, die mehr Zeit und Zuwendung benötigen.

Leonberg - Wer glaubt, fünf Minuten sind nicht viel, der irrt. Sie können die kostbarste Zeit am Tag sein, wenn sich jemand zu einem Menschen setzt, mit ihm spricht oder ihm einfach nur zuhört und die Einsamkeit nicht mehr so erdrückend ist. Dafür, dass eine halbe Stunde 35 Minuten dauern kann, setzt sich der Krankenpflegeverein Leonberg ein.

 

Doch der traditionsreiche Verein, der die ambulante Pflege der Sozialstation fördert, hat ein Problem – ihm gehen die Mitglieder aus. Vor zehn Jahren haben noch 2435 Mitglieder ihren Beitrag bezahlt, heute ist ihre Liste auf 1667 Menschen geschrumpft. Und so hat der Vorstand um den Vorsitzenden Wolfgang Vögele bei der jüngsten Mitgliederversammlung eine Kampagne unter dem Motto „Ich spende für Zeit“ gestartet. „Unser ehrgeiziges Ziel ist es, in diesem Jahr 50 neue Mitglieder zu gewinnen“, sagt der Leonberger Dekan.

Das Thema Zeit kommt einfach zu kurz

In den Anfängen des Vereins im Jahr 1896 als eine kirchliche Einrichtung, war die Mitgliedschaft die Voraussetzung für eine Versorgung. Die lag in der Hand von Schwäbisch Haller Diakonissen. Bis 1996 war für die Mitglieder die Pflege zuhause deutlich billiger als für Nichtmitglieder. Doch mit der Einführung der Pflegeversicherung ist dieser Vorteil entfallen. Die Begründung: Weil jetzt jeder Pflegebedürftige Leistungen von der Pflegekasse beziehen könne, ist eine differenzierte Behandlung verboten.

„Weil im Gesetz alles getaktet ist, kommt das Thema Zeit im wahrsten Sinne des Wortes zu kurz“, sagt Vögele. „Das Gespräch, das Zeit haben, bei dem das Menschliche eine wichtige Rolle spielt, kann kaum stattfinden, weil das Pflegepersonal schon zum nächsten Termin hetzt“, sagt Ulrich Vonderheid. Leonbergs Erster Bürgermeister ist nicht nur Mitglied im Vereinsvorstand, sondern auch Aufsichtsratsvorsitzender der Sozialstation, die die Pflege der Menschen übernimmt. „Diese hervorragende Einrichtung, die rund 700 Patienten betreut, hat so viele Bürgerkontakte am Tag wie keine andere städtische Einrichtung, deshalb ist Qualität ganz entscheidend“, sagt der Erste Bürgermeister.

Mehr als nur „satt und sauber“

„Freundlichkeit und Zugewandtheit über satt und sauber hinaus ist nicht der gesetzlich finanzierte Zustand“, weiß Reinhard Ernst, der Geschäftsführer der Sozialstation. „Damit wir dem Personal sagen können, lasst euch Zeit für die Patienten, müssen wir uns zusätzliche Einnahmequellen sichern und eine solche sind die Spenden des Krankenpflegevereins.“

„Der Verein unterstützt die Sozialstation in ihrem Kampf gegen die Minutenpflege und finanziert über Spenden und Mitgliedsbeiträge bis zu 30 000 Minuten für Pflege im Jahr“, rechnet Vögele vor. Dabei müsse man auf die Solidarität der Mitglieder bauen, denn die Beiträge kommen ja nicht direkt dem Zahlenden zugute. Da sei der Vereinszweck schwerer zu vermitteln. Früher wurde die Mitgliedschaft im Krankenpflegeverein sogar vererbt.

Mittagstisch für Menschen mit Demenz

„Wir errechnen insbesondere bei Menschen, die wegen Mehrfacherkrankung stark beeinträchtigt sind, an Demenz leiden oder denen Palliativversorgung zuteil wird, sich also in den letzten Lebenstagen befinden, ein Zeitbudget und unterstützen sie mit mehr Zeit, als vorgeschrieben“, erläutert Reinhard Ernst. Das seien etwa 30 Fälle im Jahr. Aus dem Beitrag des Vereins können täglich zwei Stunden zusätzlich finanziert werden. Unterstützt wird auch die Weiterbildung der Mitarbeitenden in der Sozialstation. „Vor allem die komplexe Palliativversorgung, verlangt dem Personal viel ab“, sagt Dekan Wolfgang Vögele.

„Der Verein ermöglicht mit 5000 Euro im Jahr auch den Mittagstisch für Menschen mit Demenz in der Begegnungsstätte Sonnenschein, den etwa 15 Gäste besuchen“, sagt der evangelisch-methodistische Pastor a.D., Armin Besserer, der auch dem Vereinsvorstand angehört.