Der Stresstest schlägt hohe Wellen: Der Bürgermeister überlegt, ob er seinen Widerstand aufgibt.

Weil der Stadt - Auf die Lebensader will niemand etwas kommen lassen. Die S-Bahn verbindet Weil der Stadt und Renningen mit Stuttgart. Jeder, der sie gefährdet, hat den Kampf mit sämtlichen Lokalpolitikern aufgenommen. Das merkt zum Beispiel der Landkreis Calw, der ebenfalls ein Stück dieser Lebensader abhaben will. Um wirtschaftlich zu sein, muss dessen Hesse-Bahn von Calw kommend in Weil der Stadt auf die S-Bahn-Gleise auffahren und bis Renningen pendeln.

 

Klappt diese Koexistenz von Hesse- und S-Bahn? Darum streiten sich Politiker und Fachleute aus den Kreisen Böblingen und Calw seitdem. Bis vor den Verwaltungsgerichtshof Mannheim ist die Stadt Weil der Stadt zum Beispiel gezogen, hat Klage eingereicht. „Schlimmer geht’s nimmer“, schimpfte der Weiler Bürgermeister Thilo Schreiber unter tosendem Applaus seiner Bürger beim Neujahrsempfang vor einem Jahr. „Hesse-Bahn ja, aber nur bis Weil der Stadt“, formulierte er damals.

Nur minimal wirke sich die Hesse-Bahn aus, sagt der Stresstest

Seitdem liegt das Projekt weitgehend auf Eis, weil Calw nicht weiterbauen kann. Dennoch war das Landratsamt nicht untätig. Einen Stresstest hat man beauftragt, als Argumentationsgrundlage für die Kritiker. Ein kurzer Satz findet sich in dem langen und aufwendig recherchierten Dokument. „Nur minimal“ wirke sich die Hermann-Hesse-Bahn auf die Verspätungsentwicklung der S-Bahn-Linie 6 aus, steht da geschrieben.

Vom Böblinger Kreistag über den Verband Region Stuttgart schlägt der Stresstest seitdem hohe Wellen. Einen überraschenden Schluss aus dem Ergebnis zieht jetzt der Weil der Städter Bürgermeister Thilo Schreiber. „Ich bin kein Verkehrsexperte“, sagt er. „Die Gutachter haben ihre Arbeit gemacht, und das habe ich zwar kritisch zu hinterfragen, aber auch zu respektieren.“ Konkret heißt das: Weil der Stadt könnte seine Klage beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim zurückziehen.

Vorher will der Weiler Rathaus-Chef seine Bürger und den Gemeinderat über den Stresstest informieren. Gemeinsam mit dem Renninger Bürgermeister Wolfgang Faißt plant er eine große Bürger-Infoveranstaltung. Nach einem Termin wird derzeit gesucht, wahrscheinlich im Mai soll es soweit sein. „Der Landkreis Calw wird als Vorhabensträger den Stresstest vorstellen und wahrscheinlich werden beide Landräte aus Böblingen und Calw teilnehmen“, kündigt Schreiber in unserer Zeitung erstmals an.

Auf der Tagesordnung des Gemeinderates

Die Überlegung geht aber noch weiter: „Nach dieser Veranstaltung und einem weiteren Gespräch mit dem Landkreis Calw wird sich der Gemeinderat mit dem Thema befassen“, sagt der Weiler Bürgermeister. „Dann werden wir entscheiden, ob wir in Weil der Stadt die zweite Klage aufrechterhalten oder zurückziehen.“ Nachdem der Landkreis Calw im Sommer mit dem Nabu einen Kompromiss wegen der Fledermäuse gefunden hat, wäre damit das zweite große Hindernis gefallen, und der Weg für die Hesse-Bahn frei.

Offenbar sieht der Weiler Bürgermeister ein, dass der Kampf gegen die Hesse-Bahn nicht mehr zu gewinnen ist. Er verweist auf den Stresstest, die unterzeichnete Vorrangregelung zugunsten der S 6, sowie auf die „politische Lage beim Land, im Verkehrsministerium und im Kreistag“ und sagt: „Da müssen wir realistisch eingestehen: Die Hesse-Bahn wird kommen – und sie wird bis Renningen fahren.“

Entsprechend groß ist die Freude im Calwer Landratsamt. „Die Überlegungen der Stadt Weil der Stadt werten wir als Zeichen der konstruktiven Zusammenarbeit zur Mobilitätsverbesserung in der Region“, sagt der Verkehrsdezernent Andreas Knörle auf Nachfrage. „Die Hesse-Bahn ist schließlich ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung des Verkehrskollaps in Richtung Stuttgart und trägt zur Verringerung der Feinstaubbelastung bei.“ Gerne werde man zu der Infoveranstaltung kommen. „Schließlich hat auch der zweite Stresstest ergeben, dass sich die Hesse-Bahn nicht negativ auf den S-Bahnbetrieb auswirken wird“, sagt Knörle. „Das würde bedeuten, dass die Planungen rasch fortgesetzt werden können und die Hesse-Bahn schnellstmöglich gebaut wird“, sagt er.

Ob die Landräte und Bürgermeister dort dann alle Scherben aufkehren können? Viel Porzellan sei auf politischer Ebene zerschlagen, sagt der Weiler Bürgermeister Thilo Schreiber. „Aber auf Verwaltungsebene wird vernünftig und verantwortungsvoll zusammengearbeitet“, schränkt er ein. Versöhnlichere Töne als noch beim Neujahrsempfang vor einem Jahr.