Eine Stadt läuft Sturm gegen den Bau dreier Windräder in ihrer Nachbarschaft. Was auf den ersten Blick nach „Windkraft – gerne, aber nicht vor meiner Haustür“ aussieht, ist bei genauerer Betrachtung deutlich komplexer.

Heimsheim - An einem sommerlichen Sonntag trifft man im Heimsheimer Wald die halbe Stadt: Spaziergänger mit ihren Hunden, Jogger, Familien mit kleinen Kindern. Sie alle fliehen vor der Hitze und vertreten sich auf den knirschenden, schattigen Kieswegen die Beine. Doch ganz so unbeschwert wie sonst sind sie in diesem Sommer nicht. Drei Windräder sollen 50 Meter von der Regionsgrenze entfernt auf der Gemarkung der Nachbargemeinde Weil der Stadt gebaut werden. Die Heimsheimer bangen um ihren Wald.

 

„Im September 2015 haben wir erfahren, dass der Verband Region Stuttgart mehrere Windvorranggebiete ausgewiesen hat“, berichtet Christa Pfisterer von der Bürgerinitiative (BI) ProHeimsheim. „Damals wussten wir ja noch nicht, was da auf uns zukommt. Vor allem, dass das so riesige Anlagen werden.“

Höher als der Fernsehturm

Bis zu 230 Meter hoch sollen die drei Windräder werden – vorausgesetzt, Weil der Stadt entscheidet sich für eine Verpachtung der Fläche an einen Investor. Damit würden sie das derzeit höchste Bauwerk Baden-Württembergs, den Stuttgarter Fernsehturm, überragen.

Zwar würden sich die Windräder geografisch noch innerhalb der Region Stuttgart befinden. Heimsheim, das zur Region Nordschwarzwald zählt, hätte jedoch aus Sicht der BI den größten Schaden. Durch die südliche Lage der Windräder und den Abstand von lediglich 850 Metern zur Siedlungsfläche befürchtet sie starke Beeinträchtigungen.

Viele Flyer

Mit dem Ziel, die Bewohner der Stadt und der umliegenden Gemeinden zu informieren, entstand die BI ProHeimsheim. Mit Flyern, einer Petition und einem umfangreichen Online-Auftritt geht sie gegen die geplante Verpachtung vor.

Der Kampf einer Bürgerinitiative

Vier der neun Mitglieder der BI ProHeimsheim (von links): Carsten Barnowski, Sabine Kiedaisch, Dennis Waldherr und Christa Pfisterer. Foto: Annegret Morof

Der Aufruhr um die Windräder in Heimsheim ist ein Bilderbuch-Beispiel für den innerökologischen Konflikt, den die Energiewende mit sich bringt: Der Wunsch nach erneuerbaren Energien auf der einen, der lokale Natur- und Landschaftsschutz auf der anderen Seite. Für Carsten Barnowski von der Bürgerinitiative ProHeimsheim ist das Vorhaben vor allem eine Frage der Verhältnismäßigkeit.

„Wir sind nicht gegen Windkraft“, stellt er mit Nachdruck klar. „Wir sind für erneuerbare Energien. Aber eben nur da, wo sie Sinn machen. Man würde in den Neckar doch auch kein Gezeitenkraftwerk setzen, denn da gibt es keine Gezeiten. Deshalb würde ich in ein windschwaches Gebiet auch keine Windräder setzen.“

„Nutzung nur bedingt möglich“

Der Windatlas Baden-Württemberg, der den Regionalverbänden als Datengrundlage und Planungshilfe für die Ausweisung von Windvorranggebieten dient, fasst die Beschaffenheit der Region Stuttgart wie folgt zusammen:

„Eine großflächige, wirtschaftliche Nutzung der Windenergie scheint unter den gegebenen technischen Voraussetzungen nur bedingt möglich. Einzelstandorte sind durchaus geeignet.“ Einen dieser Einzelstandorte scheint der Regionalverband im Weil der Städter Wald nahe der Gemarkungsgrenze gefunden zu haben.

Dicht besiedelter Wohnraum

„Wir sind hier in der Region Stuttgart, in einem Bereich, der außerordentlich dicht besiedelt ist“, erzählt Thomas Kiwitt, technischer Direktor des Regionalverbands Stuttgart. „Wir haben praktisch ein Viertel der Landesbevölkerung Baden-Württembergs auf zehn Prozent der Landesfläche wohnen. Insofern ist es hier enorm schwer, Standorte zu definieren, an denen Windräder gebaut werden können.“

Windkraft ist Ländersache

Windrad auf dem Grünen Heiner bei Stuttgart-Weilimdorf. Foto: Oliver Haug

Dass überhaupt Standorte in der dicht besiedelten Region gefunden werden, verdankt der Verband hauptsächlich der Tatsache, dass die Abstandsregelung Ländersache ist. So setzt Bayern die zehnfache Höhe des Windrades als Distanz zur Siedlung voraus, in Baden-Württemberg gelten lediglich 700 Meter – unabhängig von der Höhe des Windrades. Die BI ProHeimsheim bemängelt hierbei, dass die 700-Meter-Regelung in einer Zeit festgelegt wurde, in der hauptsächlich kleinere Windräder, wie der Grüne Heiner bei Weilimdorf mit rund 66 Metern, gebaut wurden.

Hoffnung auf Artenschutzgutachten

Dass diese Abstandsregelung in absehbarer Zeit angepasst wird, wagt die BI nicht zu hoffen. Mehr Erfolg verspricht sie sich von einem geplanten Artenschutzgutachten, das die Gemeinden Weil der Stadt und Heimsheim nun gemeinsam beauftragen. Vom Frühjahr 2018 an soll demnach untersucht werden, ob der Wald geschützte Arten wie den Rotmilan beherbergt.

Das „aus dem Hut Zaubern“ geschützter Arten zur Verhinderung von Großbauprojekten hat spätestens seit dem durch Stuttgart 21 bekannt gewordenen Juchtenkäfer einen fahlen Beigeschmack.

Schnelles Aus?

Carsten Barnowski nimmt diesen Vorwurf gelassen hin: „Neben der geltenden Abstandsregelung von 700 Metern zu Wohngebieten gibt es auch noch naturschutzrechtliche Bestimmungen, die berücksichtigt werden müssen. Wird eine bedrohte Tierart in einem Windvorranggebiet nachgewiesen, so kann das dazu führen, dass in diesem Gebiet keine Windräder gebaut werden können.“

Ob es den Bürgern nun um das Wohl des Rotmilans geht oder nicht – ein entsprechendes Ergebnis des Artenschutzgutachtens würde ein schnelles Aus für das Bauvorhaben bedeuten und somit auch für das Vorranggebiet in der Heimsheimer Nachbarschaft.

Unsere Autoren

Annegret Morof (28) und Oliver Haug (26) studieren Medienwirtschaft an der „Hochschule der Medien“ in Stuttgart. Davor haben sie beide eine Ausbildung zum Mediengestalter beim SWR gemacht. Oliver Haug kommt aus Leonberg, Annegret Morof aus Heimsheim – so sind sie auch auf das Thema Windkraft und zur Bürgerinitiative gestoßen.

Dieser Text entstand als Prüfungsleistung im Rahmen einer Journalistik-Vorlesung bei dem Medienwissenschaftler Michael Müller. Übergreifendes Thema dabei war der Einsatz und das ehrenamtliche Engagement von Menschen. „Wir wollten die Bürgerinitiative porträtieren, ohne dabei zu einseitig zu werden“, berichtet Oliver Haug von der Recherche in Heimsheim. Was ihn dort besonders erstaunt hat: Wie wenig die Bürger dort über das geplante Windkraft-Projekt informiert sind – das kommt auch in dem Video zum Ausdruck, das die beiden Studenten zu dem Thema gedreht haben. „Die Leute sagen dort Dinge, die nur zum Teil stimmen“, sagt Oliver Haug – und dabei festgestellt, wie wichtig unabhängiger und neutraler Journalismus gerade bei solch umstrittenen Projekten ist.