Seit einem Jahr gibt es in der Heimsheimer Justizvollzugsanstalt ein Pilotprojekt – Opfer und Täter begegnen sich und führen Gespräche. Dies hat schon 43 Mal stattgefunden, aber Ende des Jahres läuft die Förderung aus.

Heimsheim - Die Atmosphäre ist dicht, die Luft scheint zum Zerreißen gespannt. Ein Funke könnte zu einer Explosion führen. In einem hellen Raum der Heimsheimer Justizvollzugsanstalt sitzen sich ein Gewaltopfer, das bei einem Überfall beinahe gestorben wäre, und der Täter gegenüber. Die Emotionen schießen hoch, und bleiben doch in geordneten Bahnen, Sylvia Henning moderiert das Gespräch. Nach dem eher steifen „Guten Tag“ kommt alles auf den Tisch: Angst, Wut, Scham, es fließen Tränen. Am Ende einer langen Moderation stehen beide auf, Opfer und Täter, und liegen sich in den Armen.

 

Diese Szene ist vorbildlich. Nicht immer läuft es so ideal. Ja, vermutlich läuft es sogar meistens nicht so. „Viele Opfer sind noch nicht bereit, wollen nicht über die Tat reden“, berichtet Sylvia Henning, die seit einem starken Jahr für das Pilotprojekt „Täter-Opfer-Ausgleich im Vollzug“ arbeitet. Bislang hat sie 43 Fälle betreut. Ganz aktuell ist ein Insasse zu ihr gekommen, der eine Bank überfallen hat. „Die ist nur 800 Meter von seinem Wohnort entfernt“, berichtet die Mediatorin, die vom Pforzheimer Bezirksverein für soziale Rechtspflege bezahlt wird.

Klar ist: irgendwann kommt der Täter wieder heraus. Und wohnt wieder in seiner Wohnung – da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er im Supermarkt oder einfach auf der Straße den Angestellten begegnet, die er überfallen hat. Ein Opfer einer solchen Raubaktion schildert, wie es sich dabei fühlt. „Die zwei Männer kamen herein, einer hat mir eine Waffe an den Kopf gehalten“, erzählt er. „Draußen sind Busse vorbeigefahren. Ich dachte mir: das kann doch nicht sein, dass ich jetzt hier mitten am Tag erschossen werde.“ Dann wurde die Kasse ausgeraubt. Die Täter verschwanden, wurden gefasst, saßen zwei Jahre im Knast.

Und dann? Einer der beiden kam plötzlich nach zwei Jahren wieder in den überfallenen Laden – und wollte sich entschuldigen. Das Gespräch war steif, irgendwie komisch. Der zweite hat im Gefängnis den Prospekt vom Täter-Opfer-Ausgleich gesehen, und sich an Sylvia Henning gewandt. Wie läuft das dann konkret? „Ich stelle mich erst einmal kurz vor“, erzählt die Mediatorin. Man redet über den Fall, Henning wägt ab, ob ausreichend Einsicht und Bereitschaft vorhanden ist, auf das Opfer einzugehen. Der nächste Schritt ist ein Entschuldigungsbrief an das Opfer. Dabei hilft sie auch mal mit Formulierungen, damit diese nicht missverständlich sind.

Natürlich gibt es viele, viele Vorbehalte. „Manche Täter interessiert das gar nicht, halten den Ausgleich gar für ein Zeichen der Schwäche“, sagt Sylvia Henning. Doch selbst aus Banden heraus, die jedes Gespräch mit offiziellen Stellen als potenziellen Verrat werten, kämen immer Einzelne.

Zum Beispiel ein wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilter Täter. Er hatte Streit mit dem Opfer in einer Kneipe, hat es abgepasst, so schlimm verprügelt und getreten, dass es gestorben ist. „Diese Szene ging mir immer wieder durch den Kopf“, erzählt der Häftling. Er konnte das Gesicht nicht vergessen und schämte sich, den Angehörigen gegenüberzutreten. Bei denen waren die Vorbehalte natürlich noch größer. Dennoch kam es zu einer Begegnung. Wieder war die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt. Am Ende stand diesmal keine Umarmung. Dazu ist der Verlust für die Familie zu groß. Aber ein Verzeihen war irgendwie möglich – für beide Seiten ein sehr großer Schritt.

Der Heimsheimer JVA-Leiter Hubert Fluhr unterstützt solche Projekte ausdrücklich. „Es geht nicht darum, dass die Verurteilten damit Vorteile erhalten oder eine Verkürzung ihrer Haftzeit“, erklärt er. Der Ausgleich sei für die Opfer wichtig, um die Tat und vielleicht auch ansatzweise den Täter zu verstehen. Oder die Fragen zu klären: Warum gerade ich? War ich ein Zufallsopfer? Oder wurde ich gezielt ausgewählt? War der Täter drogenabhängig und ich nur zur falschen Zeit am falschen Ort?

„Durch das Gespräch mit dem Täter ist der Überfall vielleicht nicht mehr ganz so monströs, kann verarbeitet werden“, erklärt Markus Rapp, der Geschäftsführer des Rechtspflege-Vereins. Er hat das Pilotprojekt im Juli 2013 gestartet. Das Besondere daran ist, dass verurteilte Häftlinge am Täter-Opfer-Ausgleich teilnehmen. Eigentlich gibt es dieses Programm seit 20 Jahren nur vor dem Prozess oder nach der Haft. „Uns geht es ja auch darum, dass unsere Insassen nach der Haft keine Straftaten mehr begehen“, stellt Fluhr klar. Das sei ja schließlich das eigentliche Ziel einer Justizvollzugsanstalt wie Heimsheim.

Nun läuft das Pilotprojekt allerdings aus, bislang ist es nur in vier Gefängnissen im Land in Erprobung, darunter eben auch in Heimsheim. „Ich darf eigentlich gar keine Fälle mehr annehmen“, sagt die Mediatorin Sylvia Henning. Denn ein Täter-Opfer-Ausgleich dauert ein halbes Jahr, aber nur bis Dezember gibt es noch Zuschüsse vom Justizministerium.

„Wir hoffen, dass das Projekt fortgesetzt und landesweit umgesetzt wird“, sagt Markus Rapp vom Rechtspflegeverein. Vielleicht sogar bundesweit – Baden-Württemberg ist jedenfalls hier Vorreiter und hat sogar ein Konzept und Standards für das Verfahren ausführlich ausgearbeitet.

Am Ende profitieren jedenfalls beide Seiten, auch die Häftlinge. Das berichtet Astrid Blatt, Sozialarbeiterin im Heimsheimer Gefängnis. „Der Häftling mit dem versuchten Mord hat mir berichtet, er sei so glücklich, dass das Opfer ihm verziehen habe“, sagt sie. Denn Verzeihen – das kann nur der Geschädigte selbst.