Dirk Riedl ist der letzte Berufsschäfer im Enzkreis. Seit mehr als 25 Jahren ist er mit seiner Herde unterwegs. Im Sommer schlägt er sein Lager regelmäßig in Heimsheim auf. Natürlich ist er auch während der Feiertage auf der Weide.

Heimsheim - Die Osterlämmchen? „Die sind längst weg.“ Dirk Riedl muss passen. Ein Großhändler hat vor mehreren Wochen 50 Tiere abgeholt. „Die Nachfrage war so groß, dass ich noch weitaus mehr Lämmer hätte verkaufen können“, sagt der Schäfer über die Jungtiere, die mindestens fünf Monate alt sein müssen, bevor sie auf dem Teller landen.

 

Klar, der Abschied fällt ihm nicht immer leicht. „Aber das gehört eben dazu“, befindet er. Deswegen gibt er selbst seinen Lieblingsschäfchen – diese erkennt er übrigens an den Ohrmarken – keine Namen. „Das würde die Sache nur noch schwerer machen“, gesteht der Schäfer.

Mit seinen Schafen sei es ohnehin wie mit Menschen. „Es gibt den ein oder anderen Lumpen darunter”, sagt Riedl und lächelt. Damit meint er aber nicht zwangsläufig seine schwarzfelligen Schützlinge.

Denn das geflügelte Wort vom „Schwarzen Schaf” sei zu Unrecht negativ besetzt, sagt der erfahrene Hirte. „Die sind ein wenig wilder als der Rest, mehr aber auch nicht.” Das einzig Negative, das er mit ihnen verbindet ist der äußerst niedrige Preis für ihre Wolle. „Denn dafür gibt es so gut wie nichts”, weiß er.

Dirk Riedl ist der letzte hauptberufliche Schäfer im Enzkreis. Wanderschäfer, um genau zu sein. Das heißt: Der Mann ist ständig auf Achse. Mal ist er auf Weiden in Tiefenbronn, mal bei Steinegg, dann in Illingen oder aber auch bei Roßwag. Aktuell hat er sein Lager zwischen Lienzingen und Maulbronn aufgeschlagen. „Hier ist unsere Winterweide“, erklärt der 46-Jährige.

Das Sommer-Quartier, das er bald wieder bezieht, ist indes im Naturschutzgebiet Feuerbacher Heide in Heimsheim. Dort hat der Schäfer auch einen Stall auf dem Betzenbuckel.

Mit „wir“ meint der gebürtige Illinger sich und seine 550 Merinolandschafe. In seiner „mittelgroßen Herde“, wie er sie bezeichnet, sind aber auch schwarzkopfige Suffolk-Schafe. „Wir sprechen dabei von Fleischschafen“, sagt er und erklärt lachend auf Nachfrage: „Nein, das sind keine Fleischfresser, sie sind einfach nur kräftiger gebaut!”

Schäfer ist ein Sieben-Tage-Job

Die Böcke stammen allesamt von Zuchtschafversteigerungen. Dort geben Kataloge Auskunft darüber, wie es um die Wolle oder die Muskeln steht und ob der Bock als Vatertier für die Herde geeignet ist. Damit auf der Weide alles glatt läuft, hat der Mann mit Hut, Kutte und Hirtenstock aus Kastanienholz auch immer seine vier Altdeutschen Schäferhunde Liz, Sarah, Bella und Steffi an der Seite. „Das Hüten haben sie im Blut”, lobt er seine Hunde.

Riedl ist von morgens bis abends bei seinen Wolltieren. Denn er praktiziert die sogenannte Hütenschafhaltung. „Diese steht im Gegensatz zur Koppelhaltung, bei der Schäfer die Tiere nur umkoppeln“, erklärt er. Gerade im Frühling hat er alle Hände voll zu tun, denn die Muttertiere bekommen dann ihre Jungen.

Folglich ist nicht selten „Familienzusammenführung“ angesagt, wenn er auf der Weide aufschlägt. „Manchmal verstoßen die Mutterschafe nämlich ihre Lämmer“, erklärt er. „Vor allem, wenn sie Zwillinge bekommen.“ Dann schafft er Mutter und Nachwuchs in den Anhänger seines Pick-Ups, damit sie sich besser kennenlernen. „Abends ist das Familienglück dann aber meistens perfekt“, versichert er.

Die Romantik der Schäferei ist längst vorbei

Dirk Riedl begleitet die Tiere sozusagen von der Geburt bis zum Tod: Er legt schon mal Hand an, wenn ein Lamm nicht von allein auf die Welt kommt. Und er schlachtet die Schafe selbst. Einzig das Scheren der Wolle überlässt er Fachleuten.

Die Tiere sind das eine. Doch Riedl ist außerdem Landschaftspfleger. „Ansonsten würden die Grasflächen, die nicht durch Schafe beweidet werden, innerhalb kurzer Zeit mit Bäumen und Sträuchern zuwachsen”, betont er.

Dass er sich die schwarze Schäferkutte umhängt, war eher einem Zufall geschuldet. „Ich hatte früher einen Gnadenhof betrieben, doch nachdem die Pacht immer höher wurde, musste ich ihn dicht machen”, berichtet er. Zeitgleich habe der befreundete Schäfer Karl Baumgärtner aus Leonberg-Gebersheim altersbedingt die Haltung seiner Herde aufgegeben. „Dann kam das eine zum anderen”, sagt der gelernte Landwirt. Eine klassische Ausbildung zum Schäfer hat er nicht. „Aber man lernt ohnehin am besten auf der Weide”, befindet er.

Inzwischen hütet Riedl seit mehr als 25 Jahren Schafe. Meistens lief alles, wie es im Leben eines Schäfers laufen muss: Ruhig und gediegen. Nur einmal, das war im letzten Jahr kurz vor Weihnachten in Heimsheim, gab es einen Schreckensmoment. „Damals fand ich einen Schafbock mit zwei herausgebrochenen Füßen vor”, erzählt Riedl, der das Tier einschläfern lassen musste. „Das waren Tierquäler”, ist sich der 46-Jährige sicher. Denn die Ärztin habe ein Eigenverschulden ausgeschlossen.

Auf der Weide hat er sein privates Glück gefunden

Klar: die Tiere, die Natur, das ist alles schön und gut. „Aber die Romantik in der Schäferei ist schon lange vorbei”, sagt er. Schuld daran sind in seinen Augen vor allem die strengen Auflagen der Behörden, etwa die Registrierung der Tiere oder die penible Führung des Bestandsregisters.

Zudem muss er sich mit den Ämtern wegen der Subventionen herumschlagen. „Ohne die Zuschüsse könnte ich von heute auf morgen aufhören”, sagt er und widerspricht damit der verbreiteten Meinung, dass Schäfer im Wohlstand leben. Warum das Gewerbe, das zu den ältesten der Welt gehört, auf Finanzspritzen angewiesen ist? Riedl antwortet mit einem Preis: „Im letzten Jahr bekam ich für ein Kilogramm Wolle 1,80 Euro!”

Auf der Weide hat Riedl übrigens nicht nur sein berufliches Glück gefunden. Während er einst mit seiner Herde im Naturschutzgebiet Großglattbacher Riedberg unterwegs war, lernte er seinen späteren Ehemann kennen. Als erstes homosexuelles Paar in Illingen schlossen die beiden vor drei Jahren den Bund fürs Leben.

Und was macht der 46-Jährige an Ostern? „Ich bin natürlich auf der Weide”, sagt er. „Für einen Schäfer gibt es keinen Tag, an dem er nicht da sein muss!”