Für Thomas Putze ist die Kunst eine Möglichkeit, um zu überleben. Mit der Motorsäge stellt er Skulpturen aus Holz her.

Grafenau - Die Galerie Schlichtenmaier in Dätzingen stellt erstmals Tier- und Menschen-Skulpturen des Stuttgarter Künstlers Thomas Putze aus. Seit neun Jahren gehört er der Künstlerkolonie der Wagenhallen am Inneren Nordbahnhof an. Er nutzt das Miteinander für Kunstprojekte und den gegenseitigen Austausch.

 
Herr Putze, haben Sie ein Lieblingstier?
Eigentlich nicht. Ich finde aber Krähen sehr spannend. Sie sind schlau, verwegen und angepasst. Wenn sie kein Saatgut finden oder Obst zum Fressen, dann eben zum Beispiel Fritten bei einer Pommes-Bude. Sie sind Überlebenskünstler.
So wie Sie?
Ich bin ein Mensch, der ohne Kunst nicht überleben könnte. Ich habe gemerkt, dass ich künstlerisch tätig sein muss. Die Kunst hilft mir, in die Balance zu kommen.
Können Sie das konkretisieren?
Nun ja, das hat wohl mit dem Unterbewusstsein zu tun. Wie hält man es in dieser Welt aus?
Sie haben immerhin eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner absolviert.
Ich habe es mir am Anfang nicht zugetraut, Kunst zu machen. Mein Vater war Gärtner, meine Mutter Krankenschwester. Künstler zu werden war keine Option. Meine Mutter hat mir aber Pinsel und Farben zum Malen geschenkt.
Und dann wurden Sie doch Künstler?
Ja, ich hielt es nicht mehr aus. Nach der Lehre leitete ich ein Jugendhaus des CVJM in Esslingen. In dieser Zeit, das war 1993, habe ich mir gesagt: Du musst es machen. Ich bin zur Bank gegangen, um mich über die finanziellen Möglichkeiten zu informieren. Über ein Selbstständigenprogramm habe ich Geld bekommen. Ich habe Tankstellen angemalt wie die in Laichingen auf der Schwäbischen Alb oder die mexikanische Kneipe eines griechischen Wirts mit Palmen und Reptilien. An der Kunstakademie wurde ich erst abgelehnt. Bärchen und Eulchen, sagten die Professoren, das gehe nicht, die Zeit sei vorbei.
Sah das Werner Pokorny anders, der dortige Dozent und renommierte Bildhauer?
Ja, er hat mich aufgenommen. Mein Studium habe ich durch Bäumeschneiden finanziert. Werner Pokorny warnte aber immer davor. dass die Figuren süßlich werden und kitschig. So im Stil des Oberammergauer Wurzelsepps.
Ihre schrundigen und versehrt wirkenden Kreaturen tragen ganz offensichtlich auch menschliche Züge. Wie kommt das?
Bei meinen Skulpturen bemühe ich mich, das Wesen des Tieres herauszuarbeiten. Dass es bei ihnen menschelt, liegt daran, dass sie von einem Menschen gemacht sind, der sich in sie hineindenkt und fühlt.
Finden Sie sich in Ihren Figuren wieder? Affen-Skulpturen nennen Sie „Rock’n’Roller“ oder „Gaukler“.
Ja, sie und ich, wir sind Nachfahren von Francois Villon, dem französischen Dichter des Spätmittelalters, dem Abenteurer und Vaganten.
Sie empfinden sich als Abenteurer?
Ich suche mir Metallstücke oder Hölzer, die ich den Figuren hinzufüge. Ich schaffe Wesen, die einen Charakter entwickeln, ohne dass ich zuvor weiß, wie sie nachher aussehen. Wenn eine Skulptur fertig ist, denke ich mir: Ich habe dich gemacht, aber ich kenne dich nicht. Das ist für mich immer mit einem Abenteuer verbunden.
Und nun hat Sie die Galerie Schlichtenmaier entdeckt. Wie kommt das?
Harry Schlichtenmaier, der verstorbene Bruder der anderen beiden Galeristen, hat meine Arbeit über Jahre hinweg beobachtet. Er hat bei mir eine Entwicklung gesehen hin zu einer eigenen, originellen Position. Er wollte mich ausstellen, und jetzt ist es so weit. Er schätzte es, dass ich ein Wilder bin.
Ein Wilder unter Wilden? Weshalb haben Sie sich in den Wagenhallen angesiedelt?
Ich fand und finde diese wilde Gegend spannend. Sie ist oder war eine der letzten großen Brachen in Stuttgart. Ich finde zum Teil auch mein Material hier und habe mir ein Iglu aus Schrottteilen gebaut. In einem losen Verbund findet man hier Kooperationspartner und kann sich austauschen. Wir haben gemeinsame Ausstellungen zum Beispiel in der städtischen Galerie Backnang oder in Rottenburg am Neckar gemacht.
Hat Sie Berlin nicht gereizt?
Ich war einige Zeit in Berlin. Da wird um die Kunst viel Bohei gemacht und viel gelabert. Das hat mir nichts gebracht, deswegen kam ich wieder zurück. Hier kann ich in Ruhe arbeiten – und ausstellen. Und ich kann mit meiner Kunst zum Lebensunterhalt meiner Familie beitragen.
Weil die Wagenhallen zurzeit saniert werden, mussten Sie und die anderen Künstler in ungeheizte Container umziehen. Können Sie da überhaupt arbeiten?
Mich inspiriert das Provisorische, und in der Kälte ersetzt körperliche Arbeit den Heizkörper.