Der ehemalige Profi-Schiedsrichter Knut Kircher hat in Perouse bei der letzten Schiedsrichterschulung der Gruppe Leonberg unter Obmann Hans Enz einen Vortrag zur Entscheidungsfindung gehalten – und sein Publikum im Sturm erobert.

Flacht-Perouse - Knut Kircher weiß nicht nur, wie man mit Fußballprofis umgehen muss, er weiß auch, wie er seine Schiedsrichterkollegen ermutigen und motivieren kann. Immer wieder suchte er bei seinem Vortrag im Rahmen der Schiedsrichterschulung der Gruppe Leonberg im Vereinsheim des SV Perouse am Montagabend die Diskussion mit den gut 70 Unparteiischen, brachte den Saal mit seinen Anekdoten zum Lachen.

 

Zunächst verdeutlichte er die Rahmenbedingungen, unter denen Profischiedsrichter ihre Entscheidungen zu treffen hätten: Pro Spiel legen die Männer an der Pfeife eine Laufstrecke von zwölf bis 14 Kilometern zurück, hätten eine durchschnittliche Herzfrequenz von 168 Schlägen pro Minute und müssten in den 90 Minuten rund 250 bis 300 Entscheidungen treffen. „Auch weiterspielen zu lassen, ist zum Beispiel eine Entscheidung“, erklärte er die hohe Zahl.

Bis zu 50 Kameras würden ein Bundesligaspiel aus allen erdenklichen Perspektiven ausleuchten, und die Akustik auf dem Spielfeld entspreche dem eines startenden Düsenjägers. „Wenn Sie als Zuschauer dem Schiedsrichter eine persönliche Botschaft mitteilen möchten, vergessen Sie es, das kommt unten nie an“, verdeutlichte er mit Blick auf die regelmäßigen Beschimpfungen von den Rängen. Unter diesen Bedingungen müssten Bundesliga-Schiedsrichter Entscheidungen treffen. Im Fernsehen erkenne man einfach, wenn ein Schiedsrichter von den Spielern akzeptiert werde: „Wenn die Spieler bei seinen Entscheidungen von ihm fern bleiben, hat er Respekt. Wer dauernd belagert wird, wird nicht akzeptiert.“

Kircher forderte die Kollegen auf, Selbstbewusstsein an den Tag zu legen und als Persönlichkeit aufzutreten. Wenn ein Spieler ihn anschreie, was er für einen Mist pfeife, sei es nicht vorteilhaft, wenn man antworte, „da hättest du mich mal letzte Woche sehen sollen“. Stattdessen solle man lieber die Emotionen runterbringen und erwidern: „In welchem Ton reden denn Sie mit mir?“

Manchmal sei es auch besser, in der Situation zu schlucken und sich eine passende Reaktion für später aufzuheben. In seinem zweiten Bundesligaspiel habe ihm Stefan Effenberg nach einem Foulpfiff zugerufen, „so was pfeift man aber nicht in der Bundesliga.“ Als später einer der gefürchteten Freistöße von Effenberg weit über das Tor ging, habe er sich mit dem Kommentar revanchiert, so schieße man aber keine Freistöße in der Bundesliga. „So was sagt man aber immer in der Mitte des Spielfeldes und nicht am Rand, wo die Mikrofone stehen“, ergänzte Kircher schmunzelnd.

Manchmal sei es gut, eine Entscheidung vorzubereiten. Er habe einmal dem für seine Wutausbrüche berüchtigten Bayern-Torhüter Oliver Kahn eine gelbe Karte geben müssen. Da sei er lächelnd mit der gelben Karte in der Hand auf ihn zugelaufen und habe aus 20 Meter Entfernung gesagt: „Herr Kahn, ich komme jetzt, bitte nicht beißen.“

Dass ein Schiedsrichter spontan reagieren müsse, veranschaulichte Kircher an einer Anekdote aus einem Europa League-Spiel zwischen Skonto Riga aus Lettland und Trabzonspor aus der Türkei. Ein türkischer Spieler habe 25 Minuten lang jede seiner Entscheidungen auf türkisch kommentiert, bis ihm der Kragen geplatzt sei und er sich mit einer schwäbischen Schimpfkanonade erleichtert habe. „Als ich mich dann umgedreht habe und weglief, hörte ich hinter mir: du mi au.“ Da habe er sich sofort wieder umgedreht und gefragt, woher er schwäbisch könne. Der Spieler verriet ihm, dass er in der Region Stuttgart aufgewachsen sei, aber erst in der Türkei den Durchbruch als Fußballprofi geschafft habe. „Dann habe ich gesagt, du bist für den Rest des Spiels mein schwäbisch-türkischer Dolmetscher.“

Als Profi-Schiedsrichter müsse man auch Auswirkungen auf das Privatleben hinnehmen. „Ein erfolgreiches Wochenende war für mich, wenn mein Name weder in Sky, noch in der Sportschau oder im aktuellen Sportstudio aufgetaucht ist, und ich im Kicker am Montag keine schlechte Note hatte“, berichtete der 1,96 Meter-Mann. Er habe sich jahrelang verkniffen, die Noten seiner Kinder zu kritisieren. „Wenn ich gesagt hätte, das geht aber besser als vier, hätten die den Kicker rausgezogen und gesagt, immer noch besser als die fünf von dir, Papa.“ Zum Schluss entließ er seine Zuhörer mit dem Ratschlag: Jede Entscheidung macht dich reicher, sei mutig!

Bei dieser Veranstaltung wurde Hans Enz verabschiedet: „Es ist an der Zeit, die Leitung der Leonberger Gruppe in jüngere Hände abzugeben“, sagte er. Enz, dem Kircher seit rund 20 Jahren freundschaftlich verbunden ist, hatte der Profi-Schiedsrichter zum Ende der letzten Schulung unter dessen Leitung auch ein nettes Wort übrig: „Deine Frau hat gesagt, dass sie jetzt ganz viel vorhat mit dir. Ich wünsche euch dabei viel Spaß!“