Wenn ein Angehöriger plötzlich stirbt, brauchen viele Menschen Beistand. Ehrenamtliche wie Elisabeth Kaiser springen dann kurzfristig ein.

Böblingen - Ein junger Familienvater erleidet zu Hause einen Schlaganfall und stirbt vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder. Der Notarzt muss schnell zum nächsten Termin, doch er traut sich nicht, die Familie allein zu lassen. Die Verwandten wohnen weit weg und können erst in einigen Stunden da sein. Was nun? Zum Glück gibt es Menschen wie Elisabeth Kaiser. Die Herrenbergerin gehört seit sieben Jahren zum Team der ehrenamtlichen Notfallhelfer des Roten Kreuzes. Der Notarzt verständigt den Einsatzleiter. Dieser fragt bei Elisabeth Kaiser an, die in der Nähe wohnt. Wenige Minuten später ist die 69-Jährige bei der jungen Witwe mit den kleinen Kindern.

 

„Wir leisten Erste Hilfe für die Seele“, beschreibt Elisabeth Kaiser ihren Dienst. Dasein, zuhören – das seien ihre Hauptaufgaben. „Was sage ich nun meinen Kindern?“, wollte die junge Witwe von Kaiser wissen. „Am besten sagen Sie ihnen die Wahrheit“, lautete ihr Rat. Und sie unterstützte die junge Frau bei dieser Aufgabe.

Solche Einsätze, bei denen Kinder betroffen sind, gehen der 69-Jährigen besonders nahe. Im Schnitt zehnmal im Jahr wird Elisabeth Kaiser gerufen. Sie begleitet Polizeibeamte, die Angehörigen die Nachricht überbringen müssen, dass ein Kind, die Ehefrau oder ein Elternteil tödlich verunglückt sind. Und sie betreut an Unfallstellen am Fahrbahnrand die Angehörigen von Schwerverletzten.

40 ehrenamtliche Notfallhelfer gibt es im Kreis

Elisabeth Kaiser ist eine von rund 40 Notfallhelfern im Kreis Böblingen. Vor sieben Jahren begann das Deutsche Rote Kreuz (DRK) mit dem Aufbau einer solchen Helfertruppe. Kaiser, die ihr Leben lang als Lehrerin gearbeitet hatte, ging damals in den Ruhestand und suchte nach einer neuen, sinnvollen Tätigkeit. In mehreren Seminaren wurden sie und ihre Kollegen auf ihre Tätigkeit vorbereitet. Das Wichtigste, was die Helfer lernten: „Unsere Verantwortung endet in dem Moment, wenn Verwandte oder professionelle Helfer wie Psychologen eintreffen.“

Doch natürlich beschäftigt das Erlebte die ehrenamtlichen Helfer noch lange. Deshalb treffen sie sich jeden Monat einmal, um über ihre Einsätze zu sprechen. Nach jedem Einsatz muss zudem ein Protokoll angefertigt werden, in dem notiert wird: Wie wichtig war dieser Einsatz? Und wie belastend war er für mich persönlich?

Als besonders belastend hat Elisabeth Kaiser einen Dienst vor einigen Jahren in Erinnerung. Ein erwachsener Sohn hatte in seinem Elternhaus seine Mutter getötet. Die Notfallhelferin musste dem Ehemann und Vater die schreckliche Nachricht an dessen Arbeitsplatz überbringen. Und so harrte sie mit dem verzweifelten Mann noch viele Stunden im Büro aus. Denn das Wohnhaus, der Tatort, war gesperrt worden. Schweigen aushalten müsse man in solchen Situationen, sagt Elisabeth Kaiser. Und das sei das Schwierigste an ihrer Tätigkeit . „Es gibt Situationen, da ist jedes banale Wort einfach fehl am Platz.“

Manche Einsätze sind gefährlich

Zu ihren Einsätzen rücken die Notfallhelfer im Normalfall nur zu zweit aus. „Wir wissen nicht, was unsere Leute am Einsatzort erwartet“, sagt die Einsatzleiterin Renate Kottke. Denn wenn Angehörige plötzlich mit dem Tod eines nahestehenden Menschen konfrontiert würden, gebe es häufig sehr heftige Reaktionen. Einmal sei es den Helfern gerade noch gelungen, einen Mann daran zu hindern, sich aus dem Fenster zu stürzen. „Einer allein hätte das nicht geschafft“, sagt Kottke. Und ihre Kollege Rainer Kegreiss weiß von einem Fall, als ein Mann bei der Überbringung der Todesnachricht die Notfallhelfer mit einem Messer bedrohte.

Deshalb stellt das DRK bestimmte Anforderungen an die Ehrenamtlichen: mindestens 21 Jahre müssen sie sein, bereits im Berufsleben stehen und ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Die Alterspanne der 40 Helfer im Team liegt momentan zwischen 30 und 70 Jahren. Zu rund 80 Einsätzen im Landkreis rücken sie pro Jahr aus.

Manchmal haben die Einsatzleiter Probleme, kurzfristig jemanden zu finden, der Zeit hat. Denn viele Helfer stehen voll im Berufsleben. „Eigentlich kommt ein Anruf immer dann, wenn es gar nicht passt,“ sagt auch die Pensionärin Elisabeth Kaiser. Trotzdem will die 69-Jährige ihre Tätigkeit nicht mehr missen: „Es ist gut, gebraucht zu werden.“