Vor 22 Monaten wurde die damals fünfjährige Lara in Ditzingen entführt, das Mädchen wird vermutlich irgendwo in Polen versteckt. Der Vater hat jetzt den Verein SOS Kindesentführung ins Leben gerufen – und hofft auf Unterstützung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ditzingen - Vermisst: Lara Sophie Karzelek. Tatort Ditzingen. Tatzeit: 2. Oktober 2014. Geburtsdatum: 14.10.2009. Größe: 120. Erscheinung: schlank. Haarfarbe: blond. Geburtsort: Deutschland. So nüchtern klingt es, wenn die Polizei einen Fahndungsaufruf veröffentlicht, dazu kommt ein Foto und eine kurze Darstellung des Sachverhalts. „Lara Sophie wurde durch ihre Mutter nach Polen verbracht und wird vermutlich von ihrer Oma begleitet und versteckt“, heißt es darin, und dann folgt die entscheidende Frage: „Wer kann Angaben zum aktuellen Aufenthaltsort von Lara Sophie machen?“

 

22 Monate sind vergangen, seit Thomas Karzelek seine Tochter zuletzt gesehen hat. 22 Monate, seit die damals Fünfjährige von ihrer eigenen Mutter auf offener Straße in Ditzingen entführt und nach Polen verschleppt worden ist. Karzelek hat viel unternommen, um sie wiederzufinden. Er ist vom Strohgäu nach Berlin gezogen, um von dort schneller nach Polen zu kommen. Einmal pro Woche fährt er ins Nachbarland, spricht mit der Polizei, Staatsanwaltschaften, Politikern.

Im polnischen Fernsehen wurde über die Entführung berichtet, in deutschen Medien sowieso, sogar Detektive hatte der 44-Jährige eingeschaltet, Belohnungen ausgesetzt. Genutzt hat es alles nichts. „Die Polen“, sagt Karzelek, der neben der deutschen auch die polnische Staatsbürgerschaft hat, „wollen mir nicht helfen.“

Man setze sich in Polen für die Anliegen des Vaters ein, erklärt das Auswärtige Amt

Und die Deutschen? Vor wenigen Tagen veröffentlichte Karzelek auf seiner Facebook-Seite ein neues Foto, diesmal nicht von Lara: Es zeigt ihn mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Karzelek hat den SPD-Politiker am Rande einer Podiumsdiskussion angesprochen und auf die Tragödie aufmerksam gemacht. Der Außenminister habe ihm versprochen, dass er sich die Sache anschauen werde, erzählt er. „Die Hoffnung ist da, dass sich jetzt etwas bewegt.“ Auf Nachfrage heißt es aus Berlin: „Der Fall ist dem Auswärtigen Amt und den deutschen Auslandsvertretungen in Polen bekannt, die sich gegenüber den zuständigen polnischen Stellen für das Anliegen des Betroffenen einsetzen.“ Weitere Angaben könne man dazu nicht machen.

Es gibt zahlreiche Fälle pro Jahr, in denen sich Eltern gegenseitig das Kind wegnehmen. Eine Beziehung geht in die Brüche, aus Liebe wird Hass. So war es auch bei Thomas Karzelek und seiner Lebensgefährtin. Nach der Trennung machten sie sich gegenseitig schwere Vorwürfe.

Laras Mutter, eine polnische Juristin, nahm Lara unerlaubterweise mit nach Polen. Thomas Karzelek holte seine Tochter in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zurück nach Deutschland. Am 2. Oktober 2014, Lara war mit einer Begleiterin auf dem Weg in den Kindergarten in Ditzingen, überschritt die Mutter alle Grenzen. Unter Einsatz von Pfefferspray und mit Hilfe eines bislang unbekannten Komplizen überwältigte sie die Begleiterin, schnappte sich das weinende Kind und fuhr davon.

Danach wurde mit einem internationalen Haftbefehl nach der Frau gefahndet, schließlich stellte sie sich und wurde im vergangenen September in Stuttgart zu drei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die 36-Jährige sitzt noch immer in einem deutschen Gefängnis. macht aber, wie es im Fahndungsaufruf steht, über den „Aufenthaltsort ihres Kindes keine Angaben“.

Er habe versucht, mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin zu sprechen, erzählt Thomas Karzelek. „Aber sie lehnt jede Kommunikation mit mir ab.“ Kürzlich wurde die Mutter erneut aufgefordert, Laras Aufenthaltsort zu nennen, aber sie schweigt weiter. Weshalb das Familiengericht nun die Möglichkeit hat, ein Ordnungsgeld und notfalls Ordnungshaft anzuordnen – womit sich die Gefängnisstrafe der 36-Jährigen um bis zu sechs Monate verlängern könnte. Aber Thomas Karzelek weiß, dass ihm die Zeit davon läuft. „Sobald sie irgendwann wieder in Polen ist, hat sie nichts mehr zu befürchten“, sagt er.

Die Entführerin sitzt im Gefängnis – und schweigt

Dabei ist die Rechtslage eindeutig. Lara ist in Deutschland geboren, Thomas Karzelek hat nach der Trennung das alleinige Sorgerecht zugesprochen bekommen und darf damit entscheiden, wo seine inzwischen sechsjährige Tochter leben soll. Allein, es bringt ihm nichts. Weil sich die polnischen Ermittler über die Gesetze hinweg setzen würden und auf die Seite ihrer Landsfrau geschlagen hätten, sagt er. Ansatzpunkte, zu ermitteln, gebe es genug.

Ein neuer Verein soll für die Rechte der Eltern kämpfen – und die der Kinder

Seit Lara verschwunden ist, ist auch ihre polnische Oma untergetaucht, weshalb es als gesichert gilt, dass sie das Kind versteckt. „Aber die Polen ermitteln nicht einmal gegen die Großmutter, sie halten sie nicht für verdächtig“, klagt Karzelek. Es sind diese, wie er sagt, „offenen Rechtsbrüche“, die ihn darauf hoffen lassen, dass das Auswärtige Amt bald mehr Druck auf Polen ausüben wird. „Sonst werden Eltern ja geradezu ermutigt, nach einer Trennung mit ihrem Kind nach Polen zu flüchten – weil sie damit schon irgendwie durchkommen.“ Vergangene Woche war Thomas Karzelek wieder in Polen, hat in Niederschlesien nach Lara gesucht, Flyer verteilt. Dabei sei er unter anderem auf die Schwägerin von Laras Mutter getroffen. „Sie hat mich beschimpft und bespuckt“, berichtet er. Er sei dann einfach weitergefahren.

Sein Fall sei zwar „besonders krass“, sagt Thomas Karzelek, aber eben kein Einzelfall. Deswegen hat der 44-Jährige in Berlin unlängst den Verein SOS Kindesentführung ins Leben gerufen, mit acht weiteren Gründungsmitgliedern, Männer und Frauen. Das Ziel sei es, die Interessen der Eltern wahrzunehmen und für ihre Rechte zu kämpfen, sagt er. „Vor allem aber geht es uns um die Interessen der Kinder, denn die leiden am meisten.“