Viele Menschen haben hier eine neue Heimat gefunden. In ihrer Brust schlagen oft zwei Herzen.

Leonberg - Finanzkrise in Griechenland, Grenzkontrollen, Großbritannien droht mit Austritt: Das Vertrauen vieler Menschen in die Europäische Union sinkt, die Klüfte zwischen den Ländern scheinen sich zu weiten. Nach Feierstimmung jedenfalls klingt das nicht gerade. Nichtsdestotrotz wird am 5. Mai der jährliche Europatag begangen in Erinnerung an die Gründung des Europarates am 5. Mai 1949. Anlass genug zur Frage: Sind die Gräben bei uns vor der Haustür wirklich so tief?

 

Allein in Leonberg leben Menschen aus 119 verschiedenen Nationen zusammen, mehr als 1700 aus Griechenland, viele gebürtige Italiener und Türken, mehr als 400 Menschen aus Kroatien und Rumänien.

Im griechischen Fußballverein spielen nicht nur Griechen

Hinzu kommen zahlreiche Bürger, die zwar ausländische Wurzeln haben, aber hier geboren wurden oder mittlerweile eine deutsche Staatsbürgerschaft haben. In Leonberg und den Nachbarkommunen teilen sie sich nicht nur den Wohnort, sondern manche sogar den Verein.

Der in Deutschland geborene Behnan Bayindir hat aramäische Wurzeln und ist Mitglied im Griechischen Fußballverein Enosis Leonberg 1961. Außer ihm sind noch weitere aktive Nicht-Griechen dabei, beispielsweise Italiener oder Türken. Von den langjährigen Mitgliedern, die noch in Griechenland geboren wurden, weiß er: Viele haben hier eine neue Heimat gefunden.

Natürlich schlagen immer zwei Herzen in ihrer Brust, schließlich haben viele unter ihnen noch Familienangehörige und Freunde in der alten Heimat. Aber wirklich wieder zurück möchten die wenigsten.

Die engsten Bindungen in Deutschland

Ähnliche Erfahrungen hat Apostolos Giogas vom Griechischen Elternverein in Rutesheim gemacht. Auch er fühlt sich hier zuhause, ebenso wie Mustafa Kabasakal, der Vorsitzende der Vereinigung internationaler Eltern in Renningen.

In der Türkei ist er gerne zu Besuch, doch die engsten Bindungen, Familie und Freunde, hat er eben doch in seiner Renninger Wahlheimat, wo er schon die meiste Zeit seiner Jugend verbracht hat.

Die andere Seite gibt es selbstverständlich auch. Nataša Cica vom Pastoralrat der kroatischen katholischen Gemeinde Leonberg ist zwar in Deutschland geboren, sieht sich aber doch noch mehr als Kroatin und hat auch einen kroatischen Pass. Auch von einigen älteren Gemeindemitgliedern weiß sie, dass diese, wenn sie einmal in Rente sind, gerne wieder nach Kroatien zurückkehren möchten, wo ihre Wurzeln sind.

Ein offenes Europa bedeutet mehr Menschlichkeit

Trotzdem: Den europäischen Gedanken teilt Nataša Cica . Wäre sie zu Besuch in Afrika oder den USA, würde sie sich am ehesten eben doch als Europäerin fühlen, nicht bloß als Kroatin oder Deutsche, sagt sie. Und gerade in der Flüchtlingskrise müsse die Europäische Union zusammenhalten, um die Situation zu meistern.

Der Fußballer Bayindir sieht die derzeitige Entwicklung innerhalb der EU deshalb entsprechend kritisch. Mit Sicherheit benötige die Gemeinschaft Reformen. „Aber wir brauchen die EU“, über viele Jahre habe sie für Stabilität und Sicherheit gesorgt.

Angesichts der Grenzschließungen weiß auch der Rutesheimer Giogas nicht mehr, ob es die EU außer auf dem Papier überhaupt noch gebe. „Man muss doch Schritte nach vorne gehen, und nicht zurück.“

Vor allem Deutschland müsse immer daran denken, dass es von den offenen Grenzen und vom freien Handel stark profitiert, meint Kabasakal. Und nicht nur das: Ein offenes Europa bedeutet für ihn mehr Menschlichkeit. „Daran müssen wir uns erinnern und wieder mehr Mensch sein.“

Info: Städtefreundschaft – Partner seit Generationen

„Freunde kann man nie genug haben“, schreibt Weil der Stadt auf seiner Homepage. Seit 1961 pflegt die Keplerstadt eine enge Beziehung mit dem Städtchen Riquewihr im Elsass. Im Altkreis ist dies die am längsten währende Städtepartnerschaft mit dem Ausland – bei Weitem aber nicht die einzige. 2001 kam noch die oberitalienische Stadt Bra hinzu. Renningen zählt ebenfalls je eine Gemeinde in Frankreich und Italien zu seinen Freunden – Mennecy seit 1982 und Occhiobello ganz frisch seit 2012. Auch Weissach versteht sich bestens mit Frankreich – Partner dort ist seit 1998 der Ort Marcy-l’Etoile. Einen „Exoten“ unter den Partnerstädten bildet Scheibbs in Österreich, das seit 1972 eng mit Rutesheim verbunden ist und dem dort sogar zwei Straßen – die Scheibbser Straße und Ötscherstraße – ihre Namen verdanken. 2008 ging Rutesheim außerdem einen Freundschaftsvertrag mit Perosa Argentina in Italien ein – dem Namensgeber für Perouse – und hält noch heute engen Kontakt zu den neuen Bundesländern, und zwar nach Saalburg-Ebersdorf in Thüringen. Auch Leonberg hat mit Bad Lobenstein Verbindungen nach Thüringen, zwischen den beiden gibt es jedoch keinen offiziellen Partnerschaftsvertrag – anders als mit Berlin-Neukölln, zu dem Leonberg nach dem Mauerbau den ersten Kontakt aufnahm. Weitere Partnerstädte sind seit 1977 das französische Belfort sowie seit 1990 das kroatische Rovinj. Zu diesen Partnerschaften gehört ein regelmäßiger Austausch der Städte und ihrer Vereine, Schulen und Kirchen sowie gegenseitige Besuche. Selbst Sportler und Musiker organisieren zum Teil gemeinsame Aktionen wie Konzerte oder Turniere.